Wie jeder Mensch liebe ich Hühner. In der Suppe sind sie fast so etwas wie Medizin, als Eierleger sind völlig unverzichtbar, als Brathähnchen ein Hochgenuß. In Deutschland hat sich einiges in der Tierhaltung seit den 70ern verbessert, seitdem Hühnern in Legebatterien gottlob verboten worden sind. Abgelöst worden sind diese Bedingungen aber nicht von allzu rosigeren Umständen. Die normengerechte Haltung, selbst die mit Biosiegel, nötigt den Tieren weiterhin unerhörte Qualen auf, vom Tierwohl darf man leider nicht mehr sprechen. Und das hat Konsequenzen, nicht zuletzt für die Qualität unserer Nahrung. Und damit auch für unseren Genuß.
Die schöne Umschreibung “Aus Bodenhaltung” klingt erst wie eine Befreiung. Endlich weg vom Käfig, hin zum freilebenden Tier! Doch leider ist diese Befreiung ein Trugschluss, die Bedingungen haben sich nur marginal verbessert. Statt Käfigen stehen die armen Tiere auf einer handbreit Fläche und haben weder Platz zum Picken noch zum Scharren. Eigentlich ist ihnen in Ihren riesigen Ställen nichts möglich, was sie sonst in der freien Umgebung tun würden. John Oliver zeigt in seiner eigentlich satirisch gemeinten Talkshow die leider noch herberen Lebensumstände von Hühnern in den USA auf. Mir blieb das Lachen im Halse stecken: Ist es ein Wunder, dass schlechtes Hühnerfleisch schon schmeckt wie Alligatorfleisch? Warum nennen wir eigentlich unsere Hähnchen im Fast Food Kleister von Mc Donalds nicht mehr Hühnchen, sondern Chicken? Vielleicht, weil dass eben mit Huhn und Hähnchen in unserem Land kaum noch was zu tun hat? Hilft die Industrie sich selbst, wenn sie nun sogar einen Unterschied kreiert zwischen “Chicken” und echtem “Hähnchen”? Quasi KZ-Chicken vs. Demeter-Hähnchen?
So dramatisch müßten die Unterschiede eigentlich gar nicht sein. Durch Massenhaltung in dieser industriell-kriminellen Form ist Hühnerfleisch so billig geworden, dass die normale, ethische Haltung eines Tieres auf den Verbraucher schon teuer wirkt. Dabei geht es hier um Cents, nicht Euros. Wo bleibt die Relation von Qualität zum Preis? Platt gesagt, wenn ich die Wahl zwischen 500g Rattenfleisch für 3,-€ und 500g Hähnchenfleisch für 3,50 € habe, was wähle ich dann? Sie denken, diese Rechnung geht für den Verbraucher auf, natürlich wählt er dass gute Hähnchenfleisch. Das Gegenteil ist aber der Fall. Dafür gibt es mehrere, überzeugende Argumente.
Die immer stärker sinkende Qualität von Hähnchenfleisch geht vielen Verbrauchen schon deswegen nicht mehr auf, weil es kaum noch gut gehaltenes Fleisch im Handel gibt. Der Handel hat sich immer stärker auf Billigfleisch eingeschossen. Wer einmal ein freilebendes Tier bspw. in Afrika oder Asien gekostet hat, weiß, wie fundamental anders Konsistenz, Aroma und Geschmack sind. Es sind Welten! Nur selten gelangt derartig gutes Fleisch noch in den deutschen Handel. Artgerechte Haltung wird immer als exklusiv und teuer stilisiert, aber auch das stimmt nicht. Artgerechte Haltung, so hat man bei Rindern ermittelt, hat einen Aufpreis von vielleicht 20%. Wenn die Tiere im großen Stil in Flächenländern wie Argentinien gehalten werden können, reduzieren sich die Kosten der artgerechten Haltung immer stärker. Zurück zum Rattenfleisch-Vergleich: Bei uns ist es Standard, dass im Grosshandel ein Huhn unter 2,-€ kosten soll, der Endverbraucher zahlt teilweise für ein ganzes Hähnchen unter 3,-€. Ein ganzes Hähnchen, wenn auch nur 600g mickriges Elend. Poulets, also Hähnchen über ein 1kg, sind im deutschen Handel schon selten geworden. Funktioniert halt auch nicht in 8 Wochen Turbomast. Wohlgemerkt, man soll nicht auf das ewig wiederholte Argument reinfallen, dass so Hühner für alle erschwinglich werden, dass die Fleischerzeugung quasi sozialdemokratisiert wurde. Es ging schlichtweg auf Kosten der Qualität und der Tiergesundheit. Rechnet man richtig, also ein wirklich leckeres, schweres Tier vs. KZ-Huhn, sieht es ganz anders aus. Ein “ProEthika” Huhn kostet 12,-€ für 1,4 kg. Das sind 8,57 € pro kg. Rechnen Sie das mal auf die 600g von Ihrem KZ Huhn zurück (5,-€ pro kg) und sie sehen, dass das gar nicht viel teurer ist – es geht um die Differenz von 7,-€ zu 8,57€ – das sind 22%. Klingt viel, aber sind 1,57 € für 90% der Deutschen ein Betrag, wo sie länger überlegen müssen? Was kostet denn der Liter Sprit im Verhältnis zu Ihrem Hähnchen? Und was geht in Ihren Körper und was in Ihr Auto? Man muss die Wertschätzungen schlicht neu relativieren, wenn man überzeugen will.
Wenn Sie aus der Richtung des Genußes und der bestmöglichen Aromatik kommen, fällt der Vergleich viel drastischer aus. Sie haben ein vakumiertes, tiefgefrorenes Hähnchen mit gebrochenen Knochen und Blutungen mit dem Geschmack von Ratte vs. einem stolzen Hahn, dessen Haut alleine so viel wunderbares Fett trägt, dass sie ganz andere Röstaromen kreieren können als bei unserem kleinen Elend aus dem KZ. Ich muss mich nicht zum Tierschutzextremisten aufspielen, ich muss aus der Richtung des bestmöglichen Geschmackes kommen, um mich zu erregen und zu empören. Es ist aber auch eine Frage der Beliebigkeit und unserer Verbrauchsgewohnheiten: Kein Mensch muss sich Hähnchenbrust in jeden Salat werfen, um sich zu sättigen. “Chicken” darf nicht nur Pressfleisch oder aber reine Hähnchenbrust sein. Wir müssen natürlich das ganze Tier würdigen, nicht nur dass aus unserer Sicht fettärmste Teil, nur weil wir nicht fetter werden wollen (Das ist zudem eine Frage der Bewegung und nicht allein der Kalorienbilanz). Aber Huhn ist zur Sättigungsbeilage verkommen, eben weil es so billig ist. Und was nur sättigen soll, schmeckt besser erstmal nach wenig. Da hat die Fleischindustrie sogar die Kartoffelbauern ausgestochen. Und selbst wenn man es sich nicht leisten kann, dann ist die Frage, ob es erstrebenswert ist, stattdessen jeden Tag Ratte zu essen?
Statt in eine geschmacklich feinere Richtung entwickelt sich die Massentierhaltung in eine immer extremere, perverse Richtung. Ich scheue da keinen Vergleich. Kennen Sie die menschlichen Legebatterien aus dem Film “Matrix”? Wo so eine Restform von Mensch in Schleim eingeschlossen ist, um für Maschinen Bioelektrizität zu produzieren? Ähnlich ambitioniert sind wir, wenn es um die labortechnische Verfeinerung von Haltebedingungen geht: Wieviel Qual vs. Gewichtszugewinn vs. Mastdauer? Tierwohl versucht niemand zu erzeugen, denn dafür sind angeblich nur die “Ökoterroristen” zuständig. Schaut man sich aber an, was das Gros der Bauern mittlerweile in Ihren Ställen für Bedingungen hergestellt hat, sind die Bauern weit weg davon, was sie einmal waren: Sowas wie Hirten für Ihre Schafe, in Beziehung zum Tier lebend, um noch in Beziehung zur Natur zu stehen. Erzeuger von hochwertigen Nahrungsmitteln, damit den anderen Menschen Zeit für die Jobs in Industrie und Dienstleistung bleibt.*
Ich bin sehr traurig, wenn man sich die Haltebedingungen heute mal anschaut. Auch Bodenhaltung ist nicht Freilandhaltung. Es heißt lediglich, dass nicht jedes Huhn einzeln kaserniert wird. Sondern stattdessen viele hundertausend Tiere in einem Stall. Ich habe das mal in Mecklenburg gesehen und war sofort traurig. Man muss schon sehr stumpf sein, um kein Mitleid mit diesen Tieren zu empfinden. Das ist kein Leben, das ist ein Alptraum. Natürlich braucht es widerstandsfähige Rassen, damit die das ganze Jahr auch draußen überleben können. Großbauern sagen gerne, dass Ihre Tiere in Freilandhaltung sofort krank würden und deshalb die Haltung im Stall den Einsatz von Antibiotika minimal halt. Totaler Bullshit, wenn man von vornherein nicht so labile Zuchtrassen hat, die Ihr Leben im Brutstress verbringen müssen. Ich kann den Verbraucher verstehen, der nicht 40 € für eine Demeter Hühnerbrust bezahlen will, weil dass tatsächlich Profit mit der Angst ist – wie gesagt, artgerecht heißt nicht, dass keiner sich Hähnchen wird leisten können. Aber wer für 3,49 € ein KZ Hähnchen von den großen Züchtern kauft, der kriegt von mir die Rote Karte.
Kommen wir mal aus Richtung der moralischen Ästhetik. Schauen Sie sich mal an, wie schön ein artgerechtes Tier sein kann. Wie dieses Brahma Huhn:
Stolz wie ein Adler schreitet so ein Tier über die Wiesen. Ästhetik: Ein wunderschönes Tier. Wer die Haltebedingungen unserer Tier aber sieht, der ist versucht sich über diesen Alptraum lustig zu machen. Einer der 20 besten Köche der Welt, der Schwede Magnus Nilsson, hat sich diesem Thema gewidmet. Seine Küche besteht aus erprobten Verfahren und verwendet nur hochwertigste Zutaten. Jahrelang hat er sich geweigert, Hähnchen zu verwenden, weil dass, was ihm angeboten wurde, so einfach gar nichts mehr mit Hähnchen zu tun hatte. Es änderte sich, als er auf entsprechend freilebende, artgerecht gehaltene Tiere zurückgreifen konnte. Magnus kämpft seitdem für artgerechte Haltung durch die Brille des Tierfreundes und des Feinschmeckers. Er hat sich in diesem Video “Frankenchicken” einen Witz erlaubt und Huhn aus Schwein gebaut. Als Warnung an uns alle, denn genau das droht uns doch allen: Der Verlust des außergewöhnlichen Tieres Huhn, seine Substituion durch das nächste Tier, bis wir irgendwann vielleicht wie Kühe nur noch Maisdextrose fressen: das sättigt am Günstigsten und macht uns zwar dick, doch ist es das effizienteste, was wir uns erdenken können (jüngst als Alptraumvision in Christopher Nolans Sci-Fi Opus Magnum “Interstellar” zu sehen!). Quasi nur noch leben von reduziertem Zucker. Das macht aggressiv und wir löschen uns vielleicht am Ende gegenseitig aus – ein Jubelschrei auf diese Vision!
Wenn wir noch in dreißig Jahren wissen wollen, wie richtiges Huhn schmeckt, müssen wir vielleicht auf Schwein ausweichen, um eine Idee davon zu bekommen, wie aromatisch dieses Fleisch sein konnte. Es ist ein Skandal und die Verbraucher scheren sich zu 95% leider einen feuchten Kehricht um Ihr Fleisch. Sie kriegen irgendwann vielleicht nur noch künstlich erzeugte Proteine, also Fleisch aus dem Reagenzglas. Wenn die Verbraucher sich nicht darum scheren, dann haben sie es nicht besser verdient. Das gute an dieser Vision: dann leiden wenigstens weniger Tiere, um unseren Proteinhunger zu stillen.
Ach, dies ist noch ein cooles Bild von Magnus Nilsson, dem Wikinger unter den Köchen.
Unter dem archaischen Auftreten verbirgt sich ein sehr sensibler Mensch, der möglichst gut kochen will. Und der eine Beziehung zur Natur erhalten hat, gerade dort oben im einsamen Jämtland. Seine Gedanken zur Tierhaltung haben mir die Augen geöffnet. Mich mußte man nicht von der reinen Tierschutzseite her erreichen, ich kam durch die Verbrechen an unserer Nahrung und an Ihrem Geschmack dahin, Tieren ein lebenswertes Leben zu ermöglichen. Industrielle Tierzucht mag wirtschaftlich für die großen Bauern der einzige Weg sein, in einem aberwitzig regulierten Markt zu überleben. Wir haben keinen freien Agrarmarkt und wir können nur vermuten, dass in einem freien Spiel der Kräfte die Flächenländer wie USA, Argentinien oder Ukraine die Landwirtschaft dominieren würden. Die Frage ist, ob uns dass nicht allen gut tun würde: Wenn Tiere Platz kriegen und dort leben, wo Fläche wenig kostet. In der Textilindustrie sind uns Schutzregularien wie im Agrarmarkt völlig fremd, es gibt noch diese alte Ideologie der Autarkie im Krisenfalle, die unsere Landwirte schützt und auch Ihren Beitrag zur “Kulturlandschaft” würdigt. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob das nicht alles gerade die hochtechnisierte Viehhaltung begünstigt, wo der Mensch keine Beziehung mehr zu Natur und Tier eingeht. Vielleicht sollten gerade diese Bauern nicht überleben. Es gibt sehr liberale Volkswirte, die diese Ideen noch von Adam Smith ableiten (komparativer Wettbewerbsvorteil einzelner Nationen in “Wohlstand der Nationen”). Vielleicht ist es besser, wenn unser Hähnchen sagen wir mal aus Afrika kommt, während wir uns das Hähnchen mit dem Verkauf von Autos leisten können. Das würde uns alle zudem zwingen, in Frieden miteinander zu handeln. Ist es also nun Pessimismus und Angst der uns davor abhält, oder wissen es die Realisten besser, die sich friedliche Wirtschaftsbeziehungen von Dauer nicht vorstellen können?
Die Pessimisten sind längst auf Seiten der Vegetarier. Es gibt in diesem Falle tatsächlich pflanzliche Alternativen, um uns alle satt zu kriegen. Hier, gerade beim Huhn, so vermute ich, steht tatsächlich Big Money vor Tierwohl wie dem Menschenwohl. Und wir alle am Scheideweg. Der Spruch, wie wir Tiere behandeln, so behandeln wir uns selbst, ist leider nicht fern. Wollen wir in Zukunft nur noch Tiere essen, die derartig erniedrigt wurden und schmecken wie Schlammfisch? Es gibt ja Menschen, die halten Pangasius tatsächlich für einen Speisefisch, der lecker ist. Ich habe mich entschieden: Bevor ich Huhn esse, dass wie Ratte schmeckt, werde ich auf Pastinake ausweichen. Versprochen!
Bon Appetit!
* wollte man weiter überspitzen, war vielleicht der Weg der Landbevölkerung in die industriellen Hungerjobs der frühen Industrialisierung sowas wie der Weg in die selbstverschuldete Unmündigkeit. Ist natürlich nicht richtig, denn Landwirtschaft war ein Spiel mit dem Glück, Missernten führten zu Hungernöten und seit jeher gab es immer wieder Regionen, die nicht bewirtschaftet werden konnten. Somit führte die Migration zur Bereistellung von armen, mittellosen Menschen, die die Industrialisierung nutzen konnte. Von Selbständigkeit und Freiheit können hungrige Menschen nur träumen. Solange Menschen leiden, wird es immer schwer sein, Tiere genauso nicht leiden zu lassen.