Stefan Aust ist das, was man einen Vollblut-Journalisten nennt. Damit ist gemeint, dass jemand sich in diesem Beruf unheimlich aufreibt und bis spät in die Nacht alles für die Arbeit gibt, was er oder sie hat. Self-Made und ein Workaholic, das schwingt da mit. Aust hat Journalismus nicht mal studiert, er hat es einfach gemacht – trained on the job. Auch das durchaus erstaunlich für einen sog. Alpha-Journalisten, einen auf den andere Journalisten hören. Aber genauso ist das auch ein Ehrbegriff, dass er seine Profession sehr genau versteht und einen kritischen Blick hat. Er ist jemand, der seinen eigenen beruflichen Ethos verteidigt. Aust ist eine Instanz, wenn es um alles mit der RAF zu tun hat. Für viele Journalisten ist er aber seit seinem Wechsel vom Spiegel in die Rolle des Welt-Herausgeber (Springer!) ein Verräter am eigenen Lager geworden. Und das eigene Lager, das verordnet sich viel weiter links, als ein Stefan Aust dass wohl von sich selbst tun würde. Dieser Vollblüter hatte nun das Vergnügen, bei Sandra Maischberger in ihre Talkshow eingeladen worden zu sein und mit den Kolleginnen Kristina Dunz und Anja Kohl diskutieren zu dürfen. Ein denkwürdiger Moment über die Diskussionskultur und Ethos des Journalismus in unserem Land.
Der Journalistenverband gibt als Ethos des Berufes “Journalist” an: „Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit“. Dass ist rein philosophisch betrachtet natürlich Kindergarten, selbst Robert Habeck, immerhin promovierter Philosoph neben des Jobs als Kinderbuchautor, konnte die Öffentlichkeit in seinem Satz von der “Umzingelung durch Wirklichkeit” belehren, dass Wirklichkeit immer vor Wahrheit geht, denn Wahrheit ist nur eine subjektive Konstruktion, für die einen Nietzsche grün und blau verhauen würde.
Bevor wir uns die Talkshow ansehen, sollten wir die Bedeutung des Journalismus auf den Boden der nackten Tatsachen heben oder senken, je nach Standpunkt. Journalisten helfen, die Öffentlichkeit über die politische Wirklichkeit in ihrem Land zu unterrichten. Diese Transparenz ist dann auch Teil der politischen Willensbildung, wobei im Allgemeinen der Effekt der Presse auf Wahlergebnisse eher überschätzt sein dürfte. Dies hat eher wenig mit der Tendenz einiger Medien zu politischer Einseitigkeit zu tun, sondern eher mit Grundüberzeugungen der Wähler, die nicht kurzfristig durch Berichte zerstört werden. Politische Skandale könnten politische Biographien stürzen, aber eigentlich nie Parteien. Das erlebt auch die Debatte “gegen die AfD”, die zwar hart geführt wird, aber selten die Wahlentscheidung beeinflusst haben dürfte. Wohl aber beschädigen Skandale durchaus die Glaubhaftigkeit einzelner Politiker; Skandale als Ergebnis investigativer Recherchen können immer noch helfen, eine Art Bereinigungsprozess durchzuführen. Ob dies dann im Sinne der Demokratie ist, steht auf einem eher philosophischen Blatt, gerade weil es sich um subjektive Betrachtungen handelt, die keinen Anforderungen an einen juristischen Prozess aushält. Es ist nicht auszuschließen, dass hier Stimmungen, Atmosphären oder gesellschaftliche Paralysen genutzt werden, um einzelne Opfer zu bestimmen zum Segen und Heil der Demokratie. Weil der Journalismus davon weiß, dass er nicht immer hehre Motive verfolgt, ist er teils dazu übergangen, sich in das Gewand einer einseitigen Satire zu kleiden (Böhmermann et al.), jedoch ist die Verkupplung von Investigation mit Satire als eine Art juristische Krücke, um gezielt einseitig zu verhöhnen, noch eine neue Spielart, die bei Maischberger irrelevant ist. Bedeutsamer ist, dass die Anzahl von Journalisten, die Ihre Meinung verkünden, gefühlt stark zugenommen hat. Schaut man sich Untersuchungen wie Media Tenor an, dürfte allerdings die Bandbreite der Meinungen sich eher verengt haben.
Journalisten sind nicht scheu im Rampenlicht, das gehört dazu, selbst Teil des Spiels zu werden, verstärkt aber manchmal auch die Selbstverklärung oder die Wahrnehmung der Bedeutsamkeit der eigenen Arbeit. Im Maischberger-Format bekommen die Journalisten am Tisch die Rolle von Richtern, die Urteile über Themen sprechen dürfen – subjektiv, aber dennoch in ihrer beruflichen Rolle. Sie sprechen von sich selbst als 4ter Gewalt, die also die anderen 3 Gewalten Legeslative, Judikative und Exekutive streng bewacht. Das ist verfassungsrechtlich natürlich eine ziemliche Anmaßung, denn gerade diese Betrachtung zeigt die eigentliche Wirkungslosigkeit des Journalismus. Journalisten dürfen wegen §5 GG nahezu alles schreiben und behaupten, ob es der Wahrheit entspricht, ob es menschenverachtend oder brutal ehrverletztend ist, wer vom Journalismus “durch den Kakao” gezogen wird, muss sich dagegen vor Gericht wehren und es kann ein mitunter frustrierendes Unterfangen sein, wenn man das öffentliche Bild, dass von einem gezeichnet wird, für falsch hält. Journalistische Freiheit ist aber in keinem Falle höher zu gewichten als die individuelle Freiheit, weswegen ich auch diesen Blog schreiben kann, was ich will. Ich kann mir anmaßen, dass journalistisch zu tun. Bin ich dann ein Journalist? Definitorisch wohl sicher, auch wenn ich damit nichts verdienen will, es also nicht mein Beruf ist. Ich bin vielleicht auch ein Amateur oder ein Hobby-Journalist, aber ich sollte jede Freiheit zur eigenen Willensbildung genießen. Wollte ich mich aufblasen, so bin ich mit eigenem Blog natürlich ein Publizist! Wie eng dieser Rahmen aber für manche Journalisten gesteckt ist, durfte Stefan Aust dann bei Maischberger demonstrieren.
Journalisten leben wie Politiker von Ihrer eigenen Reputation, die auf akkurater, unabhängiger und wirklichkeitsgetreuer Berichterstattung hängt. Sprache oder Bild/Ton können aus guten Journalisten teils Romanciers machen, manchmal aber ist auch gerade dass das Problem (Relotius), wenn die Phantasie viel erwünschter ist als die Wirklichkeit. Also, das, was Spiegel-Gründer Augstein versuchte auszudrücken mit “Sagen, was ist.” Stefan Aust hat den “Baader-Meinhof-Komplex” verfasst. Ein Lehrstück darüber, dass man sehr eng verbunden sein kann mit seinen Untersuchungssubjekten wie Ulrike Meinhof und dennoch eine derartig kritische Distanz hält, dass auch politische Gegner das Werk als einen Standard akzeptiert haben. Aust konnte dieses Fleißwerk immer wieder in neuen Formaten wie Spiegel TV einsetzen, er wurde zur Instanz des roten Terrors im Deutschen Herbst. Das machte ihn zum Vollblutjournalisten, er hat ein Fundament gebaut dazu, dass er Meinungen zu bestimmten Themen als Experte führen darf.
Eines ist auffällig, wenn man Aust mit der Spezies Journalist vergleicht, die heute eine besonders starke mediale Präsenz haben und in Form zweier Klone auf Aust trafen: Die volkspädagogischen Erzieher, regierungstreue Deuter der “alternativlosen Politik”, der herrschenden Moral, stets gekrönt von der unangreifbaren Wissenschaft. Wie Dogmatiker versuchen Sie sich am Stellvertreter-Urteil, sie kämpfen um Ihren Meinungskorridor mit Vehemenz. Kristina Dunz, stellvertrende Redakteurin des SPD-Organs RND, war die erste Journalistin dieser Form. Ihre journalistische Lebensleistung dürfte sich in kritischen wie auch einseitig durchsichtigen Fragestellungen an den damals frisch gewählten Präsidenten Trump darstellen. Sie ist bei Maischberger, Lanz bis Illner regelmäßiger Gast, fiel aber selten durch überraschende bis originäre Standpunkte auf. Ihr Berufsweg schreit “GroKo” und “Merkel”, entsprechend wenig Zweifel ist auch in Ihren Aussagen zu spüren. Im Interview bei Maischberger sonderte sie Glaubenssätze ab, die ihr Robert Habeck vorher wohl aufgeschrieben hat: Dass Investitionen in die Energiewende jetzt nötig sein, weil ein Verbrechen vor den eigenen Kindern. Dass Investitionen unterlassen wurden (was bei Erneuerbaren Energien faktisch falsch ist) und nun aufgeholt werden müssen. Dass es jetzt der richtige Moment ist, sich weiter zu verschulden. Man dachte, die Regierungsprecherin hätte ihre Bewerbung gerade perfekt gemacht.
Dazu gesellte sich noch Anja Kohl, die in “Börse vor 8” die Kursbewegungen des Tages in die Wirtschaftspolitik der Regierung einordnet. Was genau eine “Börsenexpertin” ist, fragen wir uns zwar auch, es hat aber viel damit zu tun, dass man vor Kurscharts in der Frankfurter Börse stehen darf. Historisch hat dies mit der Erfindung des Börsenjournalismus in Deutschland im ÖRR zu tun, der mit der Emission der Deutschen Telekom und Manfred Krug seinen Ursprung hat. Ja, es gab Verbrauchermagazine wie Markt, aber echte Wirtschaftskompetenz oder gar Wirtschaftsformate kennt der ÖRR eigentlich nicht. So wird auch heute jeder Wissenschaftler noch nach einem alten politologischen Schema eingeteilt, nämlich ob er Nachfrageorientiert oder Angebotsorientiert arbeitet – so, als wenn dass für Wirtschaftswissenschaftler bedeutsam sei – und selbst wenn es das mal war, es dürfte seit 40 Jahren toter als tot sein. Seitdem wurde die mittelständisch geprägte, deutsche Wirtschaft vom Blick auf die Kursentwicklung der DAX30 verklärt, einer Ansammlung von Konzernen überreifer, alter Industrien und privatisierter Staatsunternehmen, die global Ihr Geschäft machen. Bestes Beispiel die Telekom, die >50% ihres Umsatzes mit einer Mobilfunkbeteiligung in den USA namens Sprint macht. Übrigens hat Stefan Aust als einziger der Journalisten zumindest mal Vorlesungen in BWL geschnuppert, zwar brachte er es zu keinem Abschluss, was aber die “Börsenexpertin” Kohl mit einem Studium von Germanistik, Publizistik und Politikwissenschaft so ganz genau zur Wirtschaftsexpertin macht, fragen sich vielleicht manche. Man spürt eigentlich immer, wenn Menschen nicht wirklich im Saft der Materie stehen, wenn Sie vor allem aus Sätzen und Versatzstücken von anderen bekannten “Börsenprofis” leben, sie aber nicht in einen eigenen Kontext bringen können. Genug der Diskreditierung an dieser Stelle, es wird so oder so im weiteren Verlauf klar, dass beide Frauen hier eher als Phrasendreschmaschine funktionieren, die Versatzstücke aneinanderreihen, aber immer stets auf Regierungslinie bleiben. Schauen wir hin:
Die Debatte beginnt mit einer Diskussion um die Notwendigkeit weiterer Schulden, um Politik zu gestalten. Aust nimmt direkt eine konservative Position ein und argumentiert, Posten in NGO-Förderung, Entwicklungspolitik und anderen Stellen im Haushalt zu hinterfragen. Darauf reagiert Dunz sehr überraschend mit einer moralinsauren Vortrag. Der Vorwurf: Vergehen an der Zukunft, wenn wir nicht jetzt unsere Politik (im vemeintlichen Sinn für unsere Kinder) durchsetzen. Dahinter steht die Vorstellung, dass die Probleme der Gegenwart immer größer sein dürften als die der Zukunft. Selbst wenn man diese kühnen Glaubenssätze teilt, sie sind nicht journalistisch, sie sind zunächst einfach politisch. Es ist diese Vermischung von Aufklärung, Erziehung und eigenen politischen Vorstellungen, die einen direkt zu der Frage bringt, ob Frau Dunz hier als Sprecherin einer Rot-Grünen Regierung oder als eine neutrale Journalistin sitzt. In jedem Fall hat sie als Journalistin durch diesen Glaubensvortrag Ihre Neutralität aufgegeben. Dass ist die Vorbereitung dafür, dass Aust den härtesten “Hammer” herausholt: Er schimpft die Energiewende eine einzige große Illusion.
Ab da herrscht eine andere Atmosphäre. Die Energiewende dürfte das elementarste Element der grünen Hegemonie in der Politik sein. In einer Deduktion von der Angst vor einer klimatischen Katastrophe, die wissenschaftlich belegt sei, wird die einseitige Notwendigkeit von Wind und PV-Energie als einzig nachhaltige Energieformen für die Bundesrepublik abgeleitet. Dies geht einher mit dem Ausstieg aus Atom und Kohle und zwar gleichzeitig. Aust greift die Energiewende an Ihrer Achillesferse an: Dass sie unvollständig ist, nicht weit entwickelt und auch nicht tragfähig auf Jahrzehnte. Aust proklamiert, dass die Erneuerbaren Energien nur einen Bruchteil der benötigten Energien erzeugen. Hier hat er einen fetten Punkt, den ich an der Grafik des Umweltbundesamtes gut illustrieren kann:
Zunächst mal ist offensichtlich, dass der Energieverbrauch seit 2017 nachlässt. Leider sind es nicht Effizienzgewinne, sondern vor allem die ab da nachlassende Produktionstätigkeit der deutschen Industrie, die zu einem etwa 20% Rückgang geführt hat. Stabil sind die Bedarfe im Bereich Mobilität und Wohnen. Ja, die Heizungen sind damit hauptsächlich gemeint, die fast ⅓ des Primärenergiebedarfs ausmachen und bekanntlich sehr schwierig und nur sehr teuer von fossilen Heizungen befreit werden können. Ersetzt werden diese aber nicht durch Wärmepumpen, die von grünen Strom betrieben werden: Der Mix hat einen Anteil von fast 80%, der weiterhin durch Steinkohle, Braunkohle, Mineralöl und Gas gedeckt wird. Der Anteil der Kernkraft, historisch bei etwa 20%, ist tatsächlich auf 0% ab April 2022 reduziert worden. Und obwohl erneuerbare Energien beständig ausgebaut wurden (zu Kosten von knapp 500 Milliarden Euro im EEG über 20 Jahre), sind diese weit davon entfernt, sich zu verdoppeln. Und so dies passiert, sind wir immer noch in einem Bereich von knapp 40% angelangt. Wenn Aust also sagt, dass wir auf absehbare Zeit (erzwungen auch durch den AKW Ausstieg) auf fossile Energien nicht verzichten können, dann ist diese Aussage auf die nächsten 30-50 Jahre wohl gesichert. Selbst wenn das Tempo durch radikale Reformen im Planungsrecht noch erhöht werden kann, was Gerichte ob der Grundrechtseingriffe wohl schnell wieder kassieren dürften, wird es wohl kaum realistisch sein, dass am Ende auf jedem Quadratkilometer Land in Deutschland 1 Windrad von 200m Höhe steht – dass sind in etwas die Ausmaße des tatsächlichen Bedarfes unseres Landes, immerhin die drittgrößte Volkswirtschaft der Erde.
Anja Kohl möchte nicht von der Illusion der Energiewende lassen. Zunächst mal sagt sie, dass der Strom zu >50% ja Erneuerbar sei. Das stellt aber Austs Rechnung nicht in Frage, denn im Primärenergiebedarf sind etwa 30% Strom, der Rest wird fossil verfeuert. Kohl behauptet dann, dass Atomenergie teurer sei, insbesondere aufgrund der Endlagerung von Atommüll. Man kann diese Rechnung schnell attackieren, dass bspw. die Schweiz Ihre Stromkosten von Atomstrom ausweist und auch die Endlagerung kalkuliert hat mit nur 4 Rappen pro kwh. 4 Rappen entsprechen etwa 5 Cent, so billig ist aktuell in Deutschland Strom aus keiner Energiequelle. Man könnte auch Frau Kohl entgegen, dass Länder wie Finnland die Endlagerung in einem politischen Konsens gelöst haben und es nicht etwa geologische Faktoren sind, warum die Endlagerung nicht möglich ist. Man kann auch kritisieren, dass Atomkraftwerke im Gegensatz zu einem Windrad statt 20 Jahre sogar 80 Jahre laufen können und sich dann die Kalkulation dramatisch für ein AKW ändert. Man könnte auch sagen, dass grundlastfähiger Strom immer teurer sein dürfte als ein volatiler Strom aus Erneuerbaren Energien, bei dem man nicht teuren Importstrom einkaufen muss, wenn in Deutschland mal wieder Dunkelflaute herrscht. Ja, man könnte soviel Pro-Atom schreiben, aber man kann Frau Kohl aber auch erstmal gewähren lassen. Denn sie verbindet Ihr Argument gegen die Atomkraft (also für die grüne Energiewende) damit, dass der Golfstrom zu kippen droht. Das macht als Folgeargument für Frau Kohl eigentlich keinen Sinn, denn wenn es um die radikale Vermeidung von CO2 gehen würde, dann müßte sie ja die hohen Kosten der AKWs tragen wollen. Ein Zirkelargument, dass ins Knie schiesst. Um nicht auszuufern, verweise ich bei den Kipppunkten, die Frau Kohl anspricht, lieber auf die Ausführungen des Berichterstatters des IPCC vom Max-Planck-Institut, der das hinlänglich oft als eine von vielen Meinungen zum Golfstrom erklärte, deren Evidenz aber umstritten bleibt. Richtig wild wurde es dann, als Frau Kohl sich verloren hatte und Frau Dunz ihr schwesterlich unter die Arme griff: Auch Dunz will in Form anekdotischer Evidenz (und weil sie es mal irgendwo gelesen hat) beweisen, dass sich der Garten von Herrn Aust offensichtlich durch den Kimawandel verändert habe. Auch hier kontert Aust wieder maximal hart: “Es stimmt nicht immer, was Wissenschaftler sagen. Es gibt auch unterschiedliche Standpunkte.”
Hier stottert Kohl: “Wollen Sie etwa die Wissenschaft in Frage stellen?” Aust: “Ja!” Stille bei Frau Kohl, diese Antwort hat sich kaum jemand im deutschen Fernsehen je getraut zu sagen.
Was im Subtext aber mitschwingt ist, dass Kohl den Bericht über Risiken der Abkippen der Meeresströmung bereits als erbrachten Beweis für die Gefahren des Klimawandels sieht. Aust sagt nicht, dass der Klimawandel ungefährlich sei, er ordnet nur diese Aussage ganz anders ein: Als eine Aussage eines oder mehrerer Wissenschaftler. Er begreift Wissenschaft nicht als Stichwortgeber (berüchtigt war hier “Follow the Science” von Göpel, Quaschningg et al., die der Wissenschaft dazu moralischen Impetus gaben), sondern er sieht Wissenschaft als einen offenen Dialog unterschiedlicher Stimmen. Wissenschaft ist dann, zumindest Naturwissenschaften, eigentlich nur dann akzeptiert, wenn Evidenz auch falsifiziert werden kann (im Sinne Poppers). Aust weist darauf hin, dass es hier um Voraussagen geht. Religiös gesprochen um Prophezeiungen. Die Natur einer Simulation oder Projektion der Zukunft ist, dass sie nur mit geringer Wahrscheinlichkeit eintreffen. Wir scheitern daran, einfachste wirtschaftliche Zusammenhänge zu modellieren, aber scheinbar gibt es Gläubige, die sich davon überzeugen lassen, dass die Kassandra des Klimawandels leichter zu projizieren ist. Aust dürfte sich jetzt schnell den Vorwurf des Klimawandelleugners gefallen lassen müssen. Es ist ein Vorwurf, der in der Regel für moralische Diskreditierung sorgt. Unser gesellschaftliches Klima hat den menschgemachten Klimawandel als gesicherte Erkenntnis hingenommen und will diesen in den Griff bekommen, sei es auch noch so vermessen von der kleinen Kreatur dies zu erreichen. Recherchiert man ein wenig, so ist zumindest sicher, dass Aust zwar den Klimawandel als solches als richtig beschrieben hält, er aber nicht an die anthropogene Ursache des Wandels glaubt. Umgekehrt geht Aust eher davon aus, dass Klimaänderungen Änderungen des Kohlendioxid-Gehalts der Luft bewirken. Es wäre aus meiner Sicht einfach nicht richtig, dass abschliessend abzulehnen, man kann nur einfach anderer Meinung sein. Wenn Wissenschaftstheorie wie die von Popper etwas zählt, dann müssen wir zumindest einräumen, dass wir die These des Klimawandels durch den Menschen nicht falsifizieren können. Es gilt als möglich, ja als eine Art Konsens der Wissenschaft. Aber, das ist der Punkt der bis in den Minderheitenschutz reicht: Deswegen ist eine andere Meinung dennoch erlaubt. Die Mehrheit der Wissenschaftler hielt auch, besonders unter dem Eindruck der Kirche, die Erde als Zentrum des Universums, bis jemand sie von dieser kolossal falschen Sichtweise erlöste. Begrüßt worden ist er dafür nicht, die katholische Kirche braucht vom Todestag Galileis 1642 bis 1992 fast 350 Jahre zur Einsicht in das Unabänderliche. So muß jeder immer einräumen: Wir glauben, aus reiner Vorsicht für die Erhaltung der Spezies, dass wir Schuld sind am Klimawandel in der jetzigen Form, entsprechend möchten wir Zustimmung zu Massnahmen, das Klima zu stabilsieren.
Genau hier setzt jedoch oft der Wahnsinn an: Ob wir als Menschheit in der Lage sind, das Klima zu stabilisieren, ist ebenfalls nur eine recht wilde Hypothese. Ob dies so ist, ob es erreichbar ist oder ob am Ende nicht andere Faktoren noch Teil der Gleichung sind, hier ist die Menschheit im Nebel. Anja Kohl und Kristina Dunz klopfen immer wieder mit flacher Hand auf die Tischplatte in Richtung Stefan Austs, sie suchen nach Bestätigung. Sie wollen auch Ihre Wahrheit retten, Ihre Glaubenssätze. Fast ist es so, als wenn sie statt der Tischplatte lieber Aust anfassen wollten, ihm die Leviten lesen, ihn bekehren wollten. Anja Kohl wirft verzweifelt ein, dass Kohlendioxid ein “Stranded Asset” zu ein, ein wertloser Vermögenswert. Und fällt erneut von der reinen Lehre der Wirtschaftswissenschaft ab, indem Sie eine Spekulation aufstellt. Sie sagt, dass sie sicher weiß, dass alles mit Kohlendioxid (also Investitionen in Motoren mit fossiler Verbrennung o.ä.) bald wertlos sein würden. Auch dies ein Glaubenssatz, etwas für Katastrophenpropheten, die sonst Bitcoins, Gold oder Drop-Shipping empfehlen zum Überleben. Mein persönlicher Höhepunkt dann, als Aust wieder ketzerisch einwirft, dass außerhalb Deutschlands dies weiter getan wird. In der Tat hat die Umweltschutzorganisation “Urgewald” eine “Global Oil & Gas Exit List” erstellt, nach der 96% der 700 erfassten Förderunternehmen weiter neue Öl- und Gasfelder explorieren. Anja Kohl ist die Empörung auf diesen Einwurf sofort anzumerken, sie kontert es angewiedert mit dem schlimmsten, was man sich als “Börsenexperte” im Hessischen Rundfunk wohl vorstellen kann: “Ja, aus Profitgier!” Stefan Aust, längst beseelter Konservativer, kann die Antwort aus dem Ärmel schütteln: “Ja, aus was denn sonst?” Ja, was ist das nochmal, unser Motivationsantrieb für Geschäfte im Kapitalismus? Es muß der Glaube sein an eine bessere Welt, oder nicht?