Der polemische und oft populistisch geführte Streit über das Minarettverbot in der Schweiz öffnet zumindest den Blick auf das allgemeine Toleranz(un-)verständnis. Toleranz wird immer gerne falsch gebraucht, sowohl von der Seite der gleichgültigen Gutmenschen, die Toleranz vor allem als unterwürfige Geste verstehen als auch von Seite der fundamenten Kräfte, die Toleranz so auslegen, dass Sie uneingeschränkt Ihre Prinzipien, auch verfassungsfeindliche, ausleben dürfen.
Toleranz, so erinnert der streitbare Henryk M. Broder in einem recht lahmen wie auch gefährlichen Artikel für die Welt, ist nicht Gleichgültigkeit gegenüber dem Fremden. Es ist auch nicht das Verbot des Fremden. Es bedeutet, dass verschiedene Weltanschauungen sich respektieren und in einem gewaltfreien Dialog stehen, ohne den anderen zu bedrängen oder konvertieren zu wollen. Auch bedeutet es, hier hat Broder durchaus REcht, dem anderen die gleichen Rechte einzuräumen wie sich selbst. Dies, das ist immer wieder ein Streitpunkt, betrifft natürlich die Ausübung von anderen Religionspraktiken auch im islamischen Ausland, deren Staaten keine offenen Gesellschaften sind. Christen sollten natürlich auch in islamischen Ländern ihre Religion ausüben dürfen, genauso wie umgekehrt. Dennoch ist Broders Standpunkt falsch und eigentlich ebenfalls intolerant. Und somit ist er kein starker, sondern schwacher Standpunkt, der überhaupt nicht hilft, unsere Gesellschaft stärker zu machen, unsere Verfassung und offene Gesellschaft zu schützen und letztlich allen Menschen, egal welcher Weltanschauung, eine Heimat zu sein.
Das Problematische aber an Broders Ansatz ist, dass dahinter wieder ein intoleranter und ängstlicher Standpunkt steht: Die Angst nämlich, dass das Fremde, dass eben nicht offene Prinzipien vertritt, könnte einen überrollen aus verschlafener Wachsamkeit. Durchaus ist diese Angst nachvollziehbar, natürlich müssen Demokratien wehrhaft sein, damit so etwas wie die Weimarer Katastrophe sich nicht wiederholt. Aber genauso darf sich auch der 09/11 nicht wiederholen, dazu braucht es aber nicht die Befeindung von Symbolen.
Polemisch könnte man ihm Vorwerfen, kein Wunder, dass ausgerechnet Broder als Vertreter einer verfolgten Minderheit einen so intoleranten Ansatz gegenüber dem Islam gewählt hat. Es sollten aber auch diplomatische Grundsätze der Vernunft gelten, auch wenn Sie Broder nicht passen: Kein Land sollte sich in die inneren Angelegenheiten eines anderen Volkes einmischen, es gibt keine universellen Rechte und Verordnungen auf dieser Welt. Man darf seinen Standpunkt erklären, man darf seine Meinung äußern. Aber belehrten ziemt sich ebenso wenig wie Einmischung, ohne darum gebeten zu werden. Das gilt zunächst auch für die Schweiz. Diese ist, so kann man uneingeschränkt sagen, ein demokratischer Staat und er hat sich nun als Mehrheit gegen eine Minderheit gestellt. Dies aber in äußerst unglücklicher Weise, denn die Schweizer haben sich nicht dafür entschieden, die Vielseitigkeit Ihrer Gesellschaft zu regeln, sondern sie haben sich für eine ängstliche, rückständige Position entschieden, die sie international tatsächlich zurückwerfen wird – hier meine ich nicht wirtschaftliche Erwägungen, sonder vor allem die Bewältigung der Probleme multikultureller Gesellschaften im Zeitalter der Globalisierung. Hier kann man leider wenig von der Schweiz lernen, hier ist sie in erster Linie ein sehr konservatives Bergvolk.
Ein demokratischer Staat muss seinen Prinzipien zunächst einmal selber gegenüber treu sein. Und es ist numal die Natur eines toleranten Rechtsstaates auf Verfassungsbasis, dass er verschiedenen Überzeugungen gleiche Rechte zugesteht. Unsere Staaten sind nicht als christliche Staaten geschaffen worden, sie sind säkular. Der Staat steht über der Religion und muss sich auch so verhalten. Somit ist die Entscheidung der Schweiz tatsächlich kein Vorbild für Toleranz, sondern es regiert die Angst davor, dass andere Kulturen mehr Raum für sich einnehmen dürfen, als Andere.
Dabei unterschätzt man nicht nur in der Schweiz, auch insbesondere in Deutschland, einen sehr positiven Aspekt, den gerade islamische Gotteshäuser in unseren Ländern haben, die von Emigranten islamischer Länder besucht werden: Wir zeigen, dass wir es wirklich ernst. Wir geben ihnen bewusst die Chance unter sich zu sein, weil wir auch Ihre Kultur respektieren. Leider gehört dazu auch, dass wir in einem gewissen Rahmen auch die fremde Sprache in unserem Land achten müssen, denn in diesen Gotteshäusern werden Gebete auf Arabisch oder Türkisch gesprochen, diese gehen den Gläubigen mehr zu Herzen, als reformierte deutsche Messen in leeren Kirchen. Wogegen wir uns wenden sollten ist der Versuch, Moscheen zu missbrauchen als politische Anstalten. Wir sollten gegen Moscheen sein, die Integration im positiven Sinne (nämlich eine freiwillige Teilnahme an unserer Gesellschaft) nicht unterstützen. Wir dürfen gerne sagen, dass wir die Verfolgung von Christen, Juden und anderen Minderheiten in islamischen Gesellschaften falsch finden. Das dürfen wir auch gerne sagen, wenn wir es nicht belehrend tun. Sonst provozieren wir nur Agressionen, die nicht zur Lösung kultureller Konflikte beitragen, sondern heizen den Krieg der Kulturen an. Davon profitieren dann die Schlimmsten, die Achmadinehdschads und Hitler dieser Welt.
Durch Toleranz und den Bau von Moscheen achten wir auch die Imigranten als vollständige Mitbürger. Dieses Verhalten führt dann in den “Heimatländern” auch zu einem anderen Verständnis unserer Kultur, dass hilfreich bei der tatsächlichen Etablierung offenerer oder reformierter Gesellschaften in islamischen Ländern sein kann (insbesondere Türkei, dass sich schwer tut, aufgeklärt zu bleiben). Denn die Emigranten haben natürlich auch einen politischen Einfluss in Ihrer Heimat, dieser kann sehr positiv sein im Sinne unserer Kultur und Verfassung. Ein starker Ansatz wäre es, die Vertreter dieser Religionen auch zu offenem Verhalten und Akzeptanz unserer Verfassungsrechte zu zwingen. Das ist im eigentlichen Sinne viel kritischer und brisanter: Wie steht es beispielsweise mit den Rechten der Frau in islamischen Gemeinden und ist man dort wirklich verfassungstreu? Sollte dies gegeben sein, so ist es auch falsch, Minarette als Symbole anderer Weltanschauungen zu verbieten. Ein starker Staat duldet nicht nur das Fremde, er kann ihm gegenüber tolerant sein und wir somit als tatsächlich demokratischer Staat stärker – das macht auch seine Staatsform attraktiver für andere Kulturen, denn erst so wird unsere Staatsform ein Erfolg, der dauerhaft sein kann. Was die Position zu den Minaretten und Moscheen angeht, so erscheint mir der Verband der Konfessionslosen und Atheisten die aufgeklärteste Position zu vertreten, die ich unterstütze: Der Landesvorstand NRW des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA e.V.) verurteilt die „Stimmungsmache“ (gegen den Moscheebau in Köln-Ehrenfeld). Auch wenn Moscheen, Kirchen, Synagogen und Tempel „systematische Falschdenkschulen“ seien, gelte dennoch: „Wer eine Moschee bauen will, sich dabei an die allgemein geltenden Vorschriften hält und auch sonst rechtskonform ist, hat nach dem Grundgesetz und nach den allgemeinen Menschenrechten einen Anspruch darauf. Es ist und bleibt ein Grundrecht der Gläubigen, auch derlei archaische Religion zu praktizieren und sich entsprechende Einrichtungen aus eigenen Mitteln zu schaffen.“