Einer der Überrest der 68er Bewegung ist nicht zuletzt in den Meldungen über die Freilassung von Brigitte Mohnhaupt und den Gnadengesuchen von Christian Klar wieder mal untergegangen. Einer der reaktionärsten und Anarchischsten Erinnerungsflecken, der ohne jede Gewalt auskam und in vielerlei Hinsicht mehr für das Klima und die politische Atmosphäre getan hat. Ihre Hauptfiguren hießen Dieter Kunzelmann und Roel van Dujin, sie nannten sich anarchistische Heinzelmännchen oder Spaßguerilla. Ihr erstes Quartier fanden die Studenten der Spaßguerilla (Kunzelmann war Mitglied der Kommune1) im Januar 1967 in der Atelierwohnung des Schriftstellers Uwe Johnson in Berlin-Friedenau. Der musste in New York in der Zeitung lesen, dass in seiner Wohnung Studenten einen Bombenanschlag auf den amerikanischen Vize- Präsidenten Hubert H. Humphrey geplant hätten. Wie die Polizei feststellte, bestanden die Zutaten für die “Bombe” zwar aus Puddingpulver, Mehl und Yoghurt, der Ärger war aber groß. Nach dem “Puddingattentat” mussten die Studenten ausziehen, sie lebten dann einige Zeit in Charlottenburg, bevor sie nach Moabit gingen und sich nach zwei Jahren in alle Winde zerstreuten. Auch der Situationismus zählt zu diesen Bewegungen dazu, der selber Gesellschaft, Wirtschaft und Beruf zum Kunstwerk umdeuten wollte. Die Wahlsprüche der Situationisten waren:
- „Verbieten ist verboten!“ (Il est interdit d’interdire, stammt in Wirklichkeit aber von Jean Yanne)
- „Unter dem Pflaster – der Strand.“ (Sous les pavés, la plage)
- „Arbeit? Niemals.“ (Ne travaillez jamais)
Roel van Dujin gründete die Provo Bewegung in Holland. Sein Vorschlag 1970 lautete, alle Straßen tiefer zu legen und die Autodächer mit Blumen zu bepflanzen. Auf diese Weise würden die Menschen im Stadtbild nur noch fahrendes Grün sehen. Kein Klima von Terror und Angst, sondern von Witz und Spaß, der die Mächtigen entblößt und das Denken anregt. Liberale Toleranz. Der Medizinstduent Bart Hughes erkannte in Amsterdam auf einer LSD-Party, daß Glück eine Frage des Hirnblutdrucks sei. Prompt durch seine Erkenntnis bestärkt bohrte er sich mit einem Elektrobohrer ein “drittes Auge” in die Stirn und behauptete fortan, er sei erlöst und fühle sich so glücklich wie auf seinem 14. Geburtstag. Wie ein großer Kindergeburtstag klingt all dies heute. Viel Gelächter, kleine Streiterein, die nicht der Rede wert sind und ein paar heulende Jungs, die sich weh getan haben und Ihre Mütter anrufen. Die Bewegung des Provo balancierte zwischen politischem Pragmatismus und Dada…und Eierwurf.
Die Situationisten lösten sich zwar 1972 auf, im angelsächsischen Raum existierten noch längere Zeit situationistische Gruppen wie King Mob oder das Bureau of Public Secrets von Ken Knabb. Bekannt sind Aktionen wie der falsche Weihnachtsmann von King Mob, der zur Weihnachtszeit in Kaufhäuser ging und dort das Spielzeug aus den Regalen direkt an Kinder verschenkte. Die herbeigerufene Polizei musste den Kindern die Waren wieder abnehmen, die dann ungläubig dabei zusahen, wie der Weihnachtsmann verhaftet wurde.
Toleranz, so deuteten es die Provos, heißt ertragen können und hat nichts mit Respekt zu tun. Man haßt sich geradezu wegen seiner divergierenden Auffassungen, erträgt es aber zähneknirschend und schaut einfach weg. Toleranz, dies ist ganz bedeutsam, hat also nichts mit Gleichgültigkeit zu tun und bedeutet eben auch, eigene Ansichten zu vertreten, es aber nicht zur Gewalt kommen zu lassen wie es die Terroristen taten. Wie spannend, daß sich all dies nicht nur zu politischen Zwecken nutzen läßt – sondern auch zu wirtschaftlichen…Guerilla Marketing der ganz anderen Art wartet nur darauf, endlich loszulegen….
King Mob zugeschrieben wurden eine Reihe von Graffiti in der Londoner U-Bahn wie “Same thing day after day – tube – work – dinner – work – tube – armchair – TV – sleep – tube – work – how much more can you take? – One in ten go mad – one in five cracks up” oder “I don’t believe in nothing – I feel like they ought to burn down the world – just let it burn down baby”.
The revolution will not be televised.
The revolution will be no re-run brothers;
The revolution will be live.
Von Kunzelmann war lange nicht mehr viel zu hören. Eierwürfe auf den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen hatten dem 60-Jährigen einst die Haftstrafe von 10 Monaten in der JVA Tegel eingebracht. “Frohe Ostern, du Weihnachtsmann!” hatte Kunzelmann noch gerufen, als er 1997 Diepgen während der Gerichtsverhandlung ein weiteres Ei auf den Kopf klatschte. Nach der Verurteilung im Herbst verschwand Kunzelmann. Im April 1998 ließ er eine fingierte Todesanzeige in der “Berliner Zeitung” schalten, die selbst alte Weggefährten rätseln ließ, ob der Polit-Clown noch am Leben sei. Erst 18 Monate später kehrte Kunzelmann nach Berlin zurück, wo er die Polizei mit Auftritten in Talkshows narrte, bis er am 14. Juli vergangenen Jahres – nach einem Geburtstagsfest im Kreuzberger Mehringhof mit Freunden zur JVA Tegel fuhr und am Tor eins Einlass begehrte. Eine “Knastinspektion” wolle er, der “Strafvollzugsexperte”, in den nächsten zehn Monaten vornehmen, kündigte er an. vorbei. Bis zum letzten Tag hat Dieter Kunzelmann seine Strafe abgesessen. Eine vorzeitige Entlassung hatte er abgelehnt. Was für eine Type, ein schwieriger Mensch.