Sonntag, 4ter März. 10:45 Ortszeit Landung mit Singapur Airlines in Ho-Chi-Minh-City, dem ehemaligen Saigon. 4 Wochen Jubel, Trubel, Heiterkeit – und ein wenig Arbeit. Mit Erleichterung stelle ich fest, daß sich 30 Grad nicht so brutal anfühlen, wie es sich der Kopf sich im feucht-kalten Deutschland ausgemalt hat. Eine merkwürdige Visakontrolle geschieht, Immigrationsbeamte in Militäruniform, die frappierend an ehemalige VoPo-Uniformen erinnern., stellen unwirsche Fragen. Fast vermute ich, daß jeder Beamter hier einmal am Cottbusser Tor Zigaretten verkauft hat, oder vielleicht in der VEB Karl-Marx-Stadt seine eigene Uniform genäht hat, die er nun 17 Jahre nach dem Mauerfall immer wieder nähen und flicken muß, denn der Polysternachschub des Kombinats Bitterfeld ist zum erliegen gekommen, die DDR endgültig Geschichte. Heute nur Fragen über Fragen: “Which Hotel?” “It’s not booked yet” – “Which Hotel?” – ich überlege, ob ich einen Namen erfinde, denn keiner soll wissen, daß mein Aufenthaltsgrund nicht der Tourismus, sondern das Geschäft ist. Dafür ist ein Visum immer noch schwer zu bekommen: “Hotel not booked yet”. Der Beamte notiert “Hotel No BuK Ye” und stempelt meine Papiere ab. Metallisch schlägt der Stempel auf die Immigrationskarte – das war es dann. Die Geschichten aus “Der Gelbe Bleistift”, Christian Krachts Reisenotizen über Vietnam von 1992 und 1999 wirken nach den ersten Minuten zu schillernd, zu verdichtet, die Realität ist blaß gegen das, was meine Vorstellungskraft sich ausgemalt hat. Saigon zeigt sich in der kommunistischen und militärischen Wirklichkeit ungeschminkt kapitalitisch. Wenn auch manche Versuche noch halbherzig wirken und etwas weniger professionell geplant und analytisch vollstreckt wie im Westen, so ist in der Kommunikationsform No.1, der Werbung (nicht die Parteipropaganda), die gleiche Botschaft des Westens angekommen: Konsum als Heilsversprechen zum Glück. Wie auch der Erzfeind China so hat man es hier recht eilig mit dem Wachstum und der Wohlstandserlangung. Zuviel Zeit und wenig Kraft war bis zur Öffnung des eisernen Vorhangs in die Planwirtschaft investiert worden. Mein Vorstellungen von Vietnam hingen an diesem Morgen noch fest in Kriegsfilmen: “The Deer Hunter”, “Full Metall Jacket”, “Platoon” und eben auch “Apocalypse Now!”. Was weiß ich über Vietnam eigentlich außer Krieg? Warum sind diese Filme so faszinierend? Nun, es waren aber keine spitzen Bambushüttchen, 2CVs mit Roten Sternen, knatternde UH-2 Bell Hubschrauber mit dem Walkürengesang aus Lautsprechern schmetternd oder verschwitzte GIs zu sehen, die von vietnamesischen Prostituierten belagert wurden. Nicht einmal die Kulisse würde für einen Film taugen, der im Westen akzeptiert werden würde als Bild des realen Vietnams. Wie denn auch: Keiner der Vietnam Filme konnte in Vietnam je gedreht werden – jeder Film ist deshalb zwangsläufig unauthentisch und zeigt eine andere Wirklichkeit. Apocalypse Now! wurde größtenteils auf den Philippinen gedreht, Full Metall Jacket in englischen Filmstudios. Ich bin also angekommen in einem Land, daß es in der Medienwirklichkeit, der eigentlichen Wirklichkeit unserer Zeit, noch nicht gibt. Und ich hoffe, es gibt noch eine eigene Identität des Landes Vietnam, die sich hinter all dem geschäftigen Treiben verbirgt. Denn was ich sehe, gefällt mir nicht, ist anders als erwartet. Zu viel Geschäfte, zu viel Trubel, zu wenig Abenteuer. Nicht einmal schwüle Hitze ist zu spüren. Eine eigene Kultur, nicht die Konsumkultur unserer Hemisphäre, die grässliche Jugendkultur mit Ihrem ursupierenden Anspruch von Subkulturen, nicht die Ästhetik des Gewerbes und der Produktion will ich sehen. Ich will eine Wirklichkeit, die sich fernhält von den CNN Werbeblöcken, die eine kulturell geglätte, surreale Traumwelt of “Global Business” zeigen, in der freundliche Funktionäre in billigen Anzügen Verträge besiegeln und in Ihren Gesichten ein leeres Lächeln zeichnen. Die DDR gibt es nicht mehr und es gibt auch kein Vietnam, daß stelle ich nun fest – obwohl ich als Westler doch keinen Grund zur Trauer verspüren sollte. Die Bar Apocalypse Now! dagegen, die Christian Kracht beschrieben hat, gibt es lt. meiner Gastgeber tatsächlich noch. Ich werde demnächst mal versuchen vorbeischauen, um zu hören, ob “The End” von den Doors noch gespielt wird. Wenigstens das würde es mir einfacher machen, endlich in vertrauter Wirklichkeit zu sein – in einem Land, daß es nicht gibt.