Tunte und Spießer, Kotzbrocken und Tattergreis – er spielte sie alle, so überzogen wie genial. Diether Krebs, der Extrem-Comedy fürs deutsche Fernsehen erfand, lebte extrem – und verstand zu sterben.
“Wir haben nicht gearbeitet, wir haben uns vergnügt.” Das sagt ausgerechnet seine Kollegin Beatrice Richter über den Mann, mit dem sie Sketche spielte, die verdammt harte Arbeit gewesen sein müssen, so mühelos, so genial abgestimmt und hemmungslos bescheuert wirkten sie auf dem Bildschirm.
Diether Krebs, der im Januar 2000 starb, wäre morgen 60 Jahre alt geworden. Mit der Comedy-Show “Sketchup” schenkte er dem deutschen Fernseh-Konsumenten, was dem bis dato fremd war: die Urform des Sketches. Pur, mit nur einem Spielpartner vorgetragen, eine Abfolge pointierter Blödeleien. Krebs scheute sich nicht, gnadenlos zu überziehen – mit XXL-Brillengläsern, Hasenzahn-Gebissen, Bombast-Perücken. Anders als bei Loriot regierte nicht der Feingeist. Krebs war krass, wollte nicht amüsieren, wollte reinknallen. Es gelang.
Diether Krebs, 1947 in Essen geboren, lebte die erdige Direktheit, die man Bewohnern des Ruhrgebietes nachsagt – und die ihn besonders dann, wenn’s karrieretechnisch drauf angekommen wäre, ins Stolpern brachte.
Krebs lernt sein Handwerk an der Folkwang-Schule, spielt bei Zadek Theater, mault sich als schlaksiger Schwiegersohn des Nationalekels “Alfred Tetzlaff”, gespielt von Heinz Schubert, in “Ein Herz und eine Seele” zum ersten Fernseherfolg. Als Krebs argwöhnt, der WDR entschärfe die Satire-Serie auf Drängen der SPD, schmeißt er hin.
Er dreht einen Film nach dem anderen, mehr als 100 Folgen “Soko 5113”. Dann zündet er 1983 die “Sketchup”-Revolution im deutschen Fernsehen. Niemand verstand es bis dahin, die Leute mit Sketchen zum Schenkelklopfen zu bringen, die tabulos in die Abgründe des Alltags blicken lassen, bis aufs ekligste Detail genau beobachtet.
Krebs’ erste “Sketchup”-Partnerin ist Beatrice Richter. Sie hatten über Rudi Carrells “Tagesshow” zueinander gefunden. Sie spielen leicht miteinander, fast symbiotisch. “Diese Verschmelzung kam von ganz alleine”, sagt Beatrice Richter SPIEGEL ONLINE. “Wir haben nie ein Wort darüber verloren, wie wir was spielen wollen. Die Beziehung zu Diether war die intensivste, urknalligste, energetischste meines Lebens.” Sie bleibt rein beruflich. Die Abende verbringt Krebs allein, saufend im “Rosario” in München. “Wie er da hing, das mochte ich nicht”, erinnert sich Beatrice Richter. “Aber ich meine das nicht negativ. Diese buchstäbliche Art des Feier-Abends war einfach nicht meine.” Die Theke wird Krebs’ Zuhause, wenn ihn die Arbeit von seiner Familie trennt.
“Wenn die Kamera lief, war er perfekt”
Die Nächte finden kein Ende. “Mir ist es selten gelungen, ihn davon abzuhalten”, sagt sein Freund und Regisseur Ulrich Stark im Gespräch mit Rüdiger Daniel und Winni Gahlen. “Du verstehst nichts vom Leben”, habe ihm Krebs entgegnet, wenn Stark ihn überreden wollte, endlich ins Bett zu gehen. Doch egal, wie lange er zecht, am Set erscheint Krebs pünktlich, konzentriert, arbeitsgierig. “Wenn die Kamera lief, war er perfekt”, sagt Beatrice Richter.
Nach zwölf erfolgreichen Folgen steigt Richter 1984 bei “Sketchup” aus. Nur ein einziges Mal noch werden sie und Krebs sich danach begegnen: In den Neunzigern gibt Beatrice Richter ihr Debüt als Jazzmusikerin, auf einer Party der Film- und Fernsehgesellschaft Polyphon. Krebs sitzt im Publikum. Während des Auftritts verliert Richter einen Ohrring. “Als ich mich nach der Show auf die Suche machte, streckte mir plötzlich Diether seine Hand entgegen: ‘Hier, dein Ohrring!'” Kein Smalltalk, kein großes Hallo, nur ein Lächeln. Das war’s.
Seine Enttäuschung und seinen Groll, dass die Richter ihn hängen ließ, behält Krebs für sich. Wie er zuvor seine Bewunderung für die Kollegin für sich behalten hatte.
Er fordert, er brilliert, er säuft
In der damals noch unfertigen, scheuen Iris Berben findet der fordernde Krebs eine neue Partnerin, schnell werden auch diese beiden zum perfekten Paar bei “Sketchup, Rad ab, Hut ab, Bart ab, Kopf ab, Knopf ab, Sketchup”: “Er gab mir eine große Sicherheit und hat mir so vieles beigebracht”, sagt Iris Berben SPIEGEL ONLINE. “Ich habe nie eine Schauspielschule besucht – die Zeit mit Diether war meine Schauspielschule. Er war ein unglaublich präziser und verlässlicher Kollege, der wusste: Nur im Team kann man die besten Resultate erzielen.”
Krebs hasst Dilettanten und Taugenichtse. Doch wenn er tritt, dann eher nach oben, nie nach unten. “Er brannte für seinen Beruf – und für das Leben”, sagt Iris Berben. Das Adrenalin, das beim Arbeiten durch seinen Körper schießt, lässt sich im Alltag schwer deckeln. Krebs, zweifacher Vater, feiert das Leben bis zum Exzess. Seine Frau Bettina, Diplom-Übersetzerin und einst Zadeks Assistentin, lässt ihn gewähren, auch wenn es schwer fällt. “Eine schönere Liebeserklärung kann man einem Menschen nicht machen”, sagt Iris Berben.
Sie selbst hat einen Tag nach Diether Krebs Geburtstag: “Er hat mich immer in der Nacht auf meinen Geburtstag angerufen, das war ein Ritual. Meist schlüpfte er dabei in eine Rolle, und ich begegnete ihm ebenso – als Tante Gisela oder irgendjemand anderes.”
Anderthalb Flaschen Sambuca und drei Flaschen Wodka
In den neunziger Jahren wird aus dem drahtigen Charmebolzen Krebs ein barocker 100-Kilo-Bär. “Ich habe die Kilos ja nicht vom Essen, sondern von anderthalb Flaschen Sambuca, 32 Espressi und an guten Tagen noch drei Flaschen Wodka”, sagt er in einem Interview.
Die Familie ist Krebs heilig, seine Frau Bettina ist seine engste Vertraute. Die rot-weiße Villa in der Lessingstraße in Hamburg wird seine Zuflucht. Ein lebendiges Zuhause, das allen Freunden offen steht, in dem gemeinsam musiziert, gelacht und diskutiert wird. Hier tüftelt er an technischen Spielereien, für die er eine Schwäche hatte. Sitzt oft stundenlang und hochkonzentriert am Schreibtisch, schreibt und konzipiert, plant die sechswöchigen Familienferien und lehrt die Söhne und seine Ziehtochter Lisbeth, worauf es ankommt im Leben. “Mir ist wichtiger, dass meine Kinder keine Arschlöcher werden, als dass sie wissen, wie groß die Fläche unter der Parabel ist” – einer von Krebs’ Lieblingssätzen.
Diether Krebs reibt sich auf für neue TV-Formate wie “Voll daneben”, “Der Dicke und der Belgier”, “Knast” und “Rost”, landet sogar einen Top-Ten-Hit mit “Ich bin der Martin, ne”. Wie verdammt gut er seinen Job macht, sieht man auch bei seinen düsteren Rollen, zum Beispiel in der “Polizeiruf 110”-Folge “Roter Kaviar”.
Dann erfährt Diether Krebs, dass er sterben muss. Der Kettenraucher hat gerade vier Bypässe gelegt bekommen, als die Ärzte 1998 beim Röntgen den Schatten auf seiner Lunge entdecken: inoperabler Lungenkrebs.
Krebs gibt ein letztes Mal Vollgas: 1999 brilliert er in der Gaunerkomödie “Bang Boom Bang” als Fiesling. Es hätte für ihn der Beginn einer dritten Karriere, als kantiger Star des jungen deutschen Kinos, sein können. Doch nach jeder Szene bricht er, geschwächt vom Lungenkrebs, am Set zusammen. Gedreht wird deshalb extra in der Nähe einer Klinik, in der er sich vor und nach seinen Szenen Behandlungen unterziehen muss. Diether Krebs verneint das nahende Ende stur bis zum Schluss, plant eine letzte Tournee. Er will sich vor seinem Publikum verneigen, ein letztes Mal Applaus hören. “Er war ein Alleswoller, ein Genussmensch, ein Lebemann”, sagt Sohn Moritz, heute 28.
Nur wenige weiht er ein, wie es um ihn steht. Morgens quält er sich mit der Chemotherapie, abends steht er kraftstrotzend auf der Bühne. Die Haare fallen ihm aus. Auf seine Glatze angesprochen, sagt er, er habe sie sich zugelegt, um sich für seine Perücken-Rollen schneller verwandeln zu können.
Nur zu Hause ist der Tod immer mal Thema. “Als wir vor der ‘Tagesschau’ saßen, sagte er mal: ‘Ob die das melden werden, wenn ich sterbe?'”, erinnert sich Sohn Moritz. Ein anderes Mal sagt Krebs über den Tod: “Er war schon zwei-, dreimal da, aber so lange ich ihn nicht anschaue, bleibe ich.” Solange er Theater spielen kann, gelingt das Wegschauen.
Zurück nach Essen – “Da kommt er her, da gehört er hin”
Am ersten Tag nach Tournee-Ende geht es Diether Krebs dreckig, mit dem Bühnen-Adrenalin ist auch sein Lebenselixier weg. “Ich habe meine Mitte verloren”, sagt er zu seinen Kindern. Er will zu Hause sterben, ohne Morphium und andere Schmerzmittel. Seine liebsten Menschen halten ihm die Hand. Zwei Tage später ist er tot.
Diether Krebs wird in seiner Heimatstadt Essen beigesetzt. “Da kommt er her, da gehört er hin”, befindet die Familie. Mehr als tausend Menschen begleiten den Schauspieler auf seinem letzten Weg. Seine Frau Bettina von Leoprechting-Krebs trägt unter dem schwarzen Mantel ein weinrotes Kleid, wie am Tag der Hochzeit. Das Haus in der Lessingstraße verkauft sie. “Sie ertrug es nicht, dort zu sein. Es fühlte sich so an, als sei Papa nur kurz Kippen holen”, sagt Sohn Moritz. Ein Neuanfang ohne Diether bleibt ihr verwehrt. Auch sie erkrankt an Lungenkrebs und stirbt am 6. April 2006.
Seinen Kindern hat Diether Krebs neben den Erinnerungen ein Video-Tagebuch hinterlassen, “Selbstgespräche”: Diether Krebs allein vor der Kamera, mal im Bademantel, mal in irgendeinem Hotelzimmer. “Ein großes Erbe, aber auch ein hartes”, sagt Moritz. “Dafür muss man die richtige Hose anhaben. Wir haben noch lange nicht alles davon angesehen.”
Moritz gründete die Medienfirma Public Demand, sein 21-jähriger Bruder Till ist Kameramann. Gemeinsam mit dem Biografen Martin Schlierkamp und den Filmautoren Winni Gahlen und Rüdiger Daniel haben sie eine Dokumentation über ihren Vater Diether Krebs gedreht. “Es ist ein erster Schritt, das Erlebte zu sortieren. Eine Reise, die sehr wichtig ist für uns.” Ihr Vater ist ein Stück deutsche Fernsehgeschichte. Am Abend, als er gestorben war, schalteten die Söhne die “Tagesschau” ein: “Und sie meldeten, dass Papa tot ist.”