Robinson Crusoe hätte es mit der Angst bekommen, wenn er erfahren würde, wie seine Lebensgrundlagen gefährdert würden. Aber würde er den Plan unterstützen des Mohammed Nasheed, des ersten gewählten Präsidenten der Malediven? Der Mann handelt aus Verzweiflung. Wenn der 41-Jährige künftig aus dem Fenster seines Regierungssitzes in der maledivischen Hauptstadt Malé blickt, kann er sie vielleicht noch erahnen, die paradiesischen Strände, die Palmen, die Idylle seines Inselreichs mitten im Indischen Ozean. Doch der designierte Präsident, der am Dienstag das Amt vom 30 Jahre herrschenden Vorgänger Maumoon Abdul Gayoom übernehmen wird, traut dem Frieden nicht. Er will jedes Jahr Geld sparen, damit sein Land etwas außergewöhnliches tun wird: Ein neues Staatsgebiet kaufen, umsiedeln und neu anfangen, denn das eigene Land existiert bald nicht mehr. Das ist nicht mehr passiert, seit die Vereinigten Staaten Alaska von Russland gekauft haben. Aber ist das denkbar und ganz praktisch gefragt: Reicht das Geld und wer muß verkaufen?
Der Inselstaat, dessen Staatsgebiet zu über 90 % aus Wasserflächen besteht und dessen Landgebiete sich überwiegend nicht mehr als einen Meter über NN erheben, ist vom Klimawandel und dem damit einhergehenden weltweiten Anstieg des Meeresspiegels stark bedroht. Folgerichtig ist der maledivischen Regierung der Klimaschutz ein wichtiges Anliegen, und Malé entsendet zu praktisch jeder Klimaschutzkonferenz eine Delegation. Der am 28. Oktober 2008 zum Präsidenten gewählte Mohamed Nasheed hat in diesem Zusammenhang ein wohl weltweit einmaliges Programm aufgelegt. Jedes Jahr soll ein gewisser Prozentsatz des Staatshaushalts für den Erwerb eines neuen Landes abgezweigt werden. Vor dem Hintergrund der steigenden Meeresspiegel will der Inselstaat rechtzeitig mögliches Ausweichland für seine Bevölkerung erwerben. Erwerben ist neu, umsiedelen jedoch nicht in der Südsee.
In der Südsee ist das Nomadentum nichts ungewöhnliches, denn wenn immer dort oder auf anderen ressourcenarmen Inseln die Lebensgrundlagen ausgingen, dann stieß man in See und suchte sich eine neue, lebenswerte Insel. Die Malediven waren dazu ewig nicht gezwungen, denn sie lebten vom unerhörten Reichtum des Meers. Nun könnten die Malediven vielleicht behaupten, Sie seien Opfer des Klimawandels. Es ist aber wohl vermutlich eher so, daß die Malediven zwar nicht Hauptschuldige sind, aber eher Ihren Teil dazu beigetragen haben, daß unser Planet immer weniger lebenswert ist und somit auch selbst Täter sind. Mitleid muß man so nicht haben, wenn jedoch auch hier keine demokratische Entscheidung ursächlich ist. Statt nachhaltig sich selbst versorgen zu können, ist aus der Insel ein Luxusferienressort geworden, daß nicht einmal ansatzweise aus seinen eigenen Ressourcen das bieten kann, was seine Touristen so schätzen. Und hiervon profierte lange Zeit die Inselelite, die sich um die Grundlagen des Lebens nicht mehr scherten. Denn üblicherweise leben diese Insel nicht von ihrem Reichtum auf der Landfläche. Sie besitzen kaum natürliche Ressourcen, auf Ihren kleinen Flächen gedeihen kaum Pflanzen, der Boden ist trocken und salzig. Nein, unsere Träume von wunderschönen Karibikinseln sind trügerisch, denn die Lebenswelt der Insel ist lebensfeindlich. Nicht ist es aber das Meer.Das Meer ist reich und dies ermöglichen insbesondere die Korallenriffe rund um die Malediven. Doch diese sind bedroht und nahezu zerstört. Wie ich selbst während einer Reise in 2005 lernte, ist kaum noch etwas übrig geblieben vom Reichtum der Unterwasserwelt, die Abhängigkeit von der Außenwelt ist immer größer geworden. Der Wahnsinn dort hat Methode: Jede touristisch genutzte Insel betreibt obligatorisch eine eigene Müllverbrennungsanlage und eigene Meerwasserentsalzungsanlagen. Der dazu benötigte Strom wird mit Dieselgeneratoren erzeugt, Solar- oder Gezeitenkraftwerke? Solarthermie? Fehlanzeige. Metall- und Plastikabfälle werden gesammelt und auf der Müllinsel Thila Fushi deponiert. Diese dient jedoch nur der Hauptstadt Male und einigen nahe gelegenen Inseln. Die allermeisten Inseln entsorgen ihren Müll im Meer. Es gibt keine Einrichtung um Altöle der zahlreichen Boote zu entsorgen. Der Bauschutt von Hotelbauten landet ebenfalls im Meer.
Umweltschutz ist auf den Malediven in der Praxis nicht vorhanden. Es gibt wohl Gesetze, deren Einhaltung jedoch nicht verfolgt wird. So soll die bebaute Fläche eines Resorts nicht 20% übersteigen. Die Praxis sieht ganz anders aus, wovon man sich beim An-oder Abflug leicht selbst überzeugen kann. Die Regierung überprüft nicht die Einhaltung der Baupläne, beziehungsweise Sanktionen erfolgen wegen der allgemein üblichen Korruptionen nicht. Das Interesse der Regierung besteht in möglichst vielen Touristenbetten. Die meisten neuen Hotelinseln sind durch “landscaping” in die gewünschte Form gebracht. Dies geschieht durch “dredging” und Sandpumpen, was ungeheure Schäden an den Riffen hervorruft. Auch Privatflughäfen für einzelne Resortketten, zum Beispiel Maamingili im Süd Ari Atoll, werden durch Aufschütten des Riffdaches gewonnen. Es ist verboten, Haie im Atollinneren zu fangen. Dies wird jedoch nicht überwacht, sodass die einst gewaltige Haipopulation der Malediven bis auf ein paar Reste verschwunden ist. Haie werden nicht gegessen sondern ausschliesslich für den Export der Flossen nach Fernost gefangen und nach Abschneiden der Flossen (das sogenannte “sharkfinning“) wieder ins Meer geworfen, wo sie verenden. In zunehmendem Maße wird auf Riffische wie Rote Schnapper und Zackenbarsche für die Luxusmärkte der Welt gefischt. Da es sich um standorttreue Fische handelt, ist deren Population gefährdet. Zum Rückgang des Fischbestandes trägt das auf allen Hotelinseln beliebte “Nachtfischen” bei. Schildkröten sind zwar geschützt, nicht aber die Gelege. Das hat zur Folge, dass die Malediven kaum Nachwuchs an Schildkröten hervorbringt. Insgesamt ist das Umweltbewusstsein auf den Malediven als katastrophal zu bezeichnen.
Vor allem stellt sich die Frage: Wohin? Der Staatschef gibt sich wählerisch. Indien und Sri Lanka seien denkbar, sagt Nasheed, aufgrund des ähnlichen Klimas. Auch Australien komme in Frage, immerhin ist es mit 21 Millionen Menschen auf rund siebeneinhalb Millionen Quadratkilometern nur dünn besiedelt.
Doch ob sich die Wunschländer des Präsidenten über den Bevölkerungszuwachs freuen würden, darf bezweifelt werden: Indien kämpft schon seit langem mit gravierender Überbevölkerung und Armut. Australien war noch bis vor kurzem bekannt für seine rigide Einwanderungspolitik. Der neue Premierminister Kevin Rudd hatte erst im Juli die automatische Internierung von Asylbewerbern ohne Visa in sogenannten Detention Camps beendet. Zudem hat Australien selbst auch im eigenen Land mit dem sich wandelnden Klima zu kämpfen.
Nasheed selbst spricht von einer positiven Resonanz auf seine Idee. Doch die drohende Umsiedlung ist nicht das einzige Problem, mit dem der Präsident zu kämpfen hat. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft auseinander, die Arbeitslosigkeit liegt laut Aussage des Inselpräsidenten bei 20 Prozent.Was für ein Desaster – aber mußte es erst soweit kommen? Wir können vermutlich am Mikrokosmos der Malediven lernen, was uns bald allen droht: Der Verlust der Lebensräume. Lassen wir es nicht soweit kommen, denn es gibt nicht mehr genug Land für alle und genug Plätze, wo wir uns verstecken können. Denn dann, wenn nirgendwo Platz ist, droht uns das gleiche, was uns schon oft in das Verderben geführt hat: Krieg um Lebensraum.