In der Moderne hat sich das rein ökonomische Erwerbsstreben, basierend auf der Ausnutzung von Kapital und Arbeit in der Gesellschaft als primäres Interesse durchgesetzt. Wer es als Kaufmann zu etwas brachte, dem war gesellschaftliche Anerkennung sicher. In der Antike stand noch der Respekt vor Ahnen, die Ehre und der Ruhm als höchstes Ziel der Existenz im Vordergrund. Das Mittelalter betonte kirchliche Imperative, der gläubige Mensch sucht nach Erlösung und Ablass seiner Sünden. Aus diesen Bindungen hat sich das marktwirtschaftliche System gelöst, es sucht Abhilfe nach den Bürden der menschlichen Existenz im Markt: Er liefert die Produkte, Innovationen und Versprechen für ein seliges Leben, ein Leben ohne Qual und ohne Mühen. Thorstein Bunde Veblen verstand bei der soziologischen Betrachtung seiner Umwelt immer weniger das wachsende Maß an systematischer Expansion, die Mehrung der Umsätze und des Gewinns “im kontinuierlichen, rationalen kapitalistischen Betrieb” (Max Weber). Ihn interessierten vielmehr die menschlichen Gründe für dieses Handeln und er fand sie im Menschen selbst angelegt. Das produktive Ergebnis geht schnell über die Deckung der Grundbedürfnisse hinaus, darüber geht es um mehr: Der Sehnsucht nach Prestige. Soziale Anerkennung oder gar Bewunderung als Triebfeder menschlichen Handelns. Eine sehr pessimistische Sicht menschlicher Antriebe, die er zur Grundlage wirtschaftlichen Handelns macht. Susanne Wesch hat diese Theorien kurz zusammengefasst:
“Nur Verschwendung bringt Prestige.” Prestige muss der Mensch haben, will er Erfolg. Denn Prestige bringt Anerkennung. Anerkennung braucht der Mensch, um vorwärts zu kommen. Vorwärts kommen heißt besser sein als der Nachbar, Kollege oder Verwandte – das will ein jeder. Die Folge: Die moderne Gesellschaft ist eine Gesellschaft der Verschwendung. Der dies schrieb, kümmerte sich selbst wenig um die Anerkennung der Gesellschaft: Thorstein Bunde Veblen (1857 bis 1929), als Sohn norwegischer Einwanderer in einem Dorf im US-amerikanischen Bundesstaat Wisconsin geboren, Philosoph, Soziologe und Wirtschaftswissenschaftler, war zeitweise so enttäuscht von der Welt, dass er sich völlig aus ihr zurückzog – etwa nach Abschluss seiner Promotion an der renommierten Yale-Universität, als er sieben Jahre lang nichts von sich hören ließ.
In solchen Zeiten befasste er sich umso mehr mit der Lebensart, die er ablehnte. Das Ergebnis war ein Buch, in dem der Wissenschaftler der Gesellschaft einen Spiegel vorhielt: der 1899 veröffentlichte Titel Die Theorie der feinen Leute, sein populärstes, bissig und zuweilen höchst vergnüglich geschriebenes Werk. Er analysiert, wie die Ellenbogengesellschaft entstehen konnte. Sein Schluss: Neid und Raub, von Zeit zu Zeit gemildert durch den Wunsch zu kreativem Handeln, sind die Grundlage allen menschlichen Strebens. Jeder möchte mehr haben, mehr sein als der andere.
Weil es aber keinen Spaß macht, die Millionen im Keller zu horten, wo sie niemand sieht, stellt der Mensch seinen Reichtum zur Schau: Er “verschwendet” sein Geld für Dinge, die er gar nicht braucht. Veblen unterscheidet zwei Arten der Verschwendung: die von Zeit und Material und die von Muße und Konsum. In längst vergangenen Gesellschaften – bei den Sklavenhaltern im alten Rom oder den Feudalherren im Mittelalter – tun reiche Leute demonstrativ nichts. Wer es sich leisten kann, lässt auch noch andere für sich nichts tun: Ehefrauen, Sklaven, Bedienstete. Veblen nennt das “stellvertretende Muße” im Dienste eines Höheren. Das krasseste Beispiel: die Kaste der Priester. In die Kategorie “demonstrative Verschwendung” ordnet Veblen auch gute Manieren und hohe Bildung ein, denn die Aneignung von beidem kostet Zeit und habe keinen wirklichen Nutzen.
Um zu verdeutlichen, dass Ehefrauen und Bedienstete nichts tun können, werden sie möglichst unzweckmäßig gekleidet. Diener müssen Livree tragen, Frauen zwängen sich in ein Korsett, und der “Grund dafür, daß sich der Rock einer so hartnäckigen Zuneigung erfreut, besteht darin, daß er nicht nur teuer ist, sondern außerdem seine Trägerin für alle nützliche Betätigung unfähig macht”. In der entwickelten Industriegesellschaft verliert die Muße als Demonstration von Macht und Erfolg an Bedeutung – zugunsten des Konsums. Denn wenn Maschinen den Menschen die Arbeit abnehmen und die Einkommen pro Kopf steigen, können es sich immer mehr Menschen leisten, nichts zu tun. Jetzt wird gekauft, was teuer ist. Damit stellt Veblen die gängige Theorie auf den Kopf: Die Nachfrage nach solchen Konsumgütern steigt mit dem Preis.Aus der Verschwendungssucht entstehen Wirtschaftszweige, und schließlich gibt es kein einziges Gut mehr, das nicht der Demonstration von Reichtum und Macht dient. Der Hang zur Vergeudung zieht sich durch alle Klassen: Die höchste, reichste Klasse – eben die “feinen Leute” – setzt das Ideal, an denen sich alle anderen Klassen entsprechend ihren Möglichkeiten orientieren. Veblen hatte ein tief verwurzeltes Misstrauen gegen abgeschlossene theoretische Modelle wie die der Neoklassiker, weil er sah, dass sie im wirklichen Leben nicht funktionierten. Die unberechenbare Variable Mensch verdarb die meisten Voraussagen. Er versuchte, sie in seine theoretischen Überlegungen einzubauen und den grundlegenden Antrieb des Menschen zu ergründen.
Einen Begriff hat Veblen in die Ökonomie eingeführt, der bis heute – wenn auch in abgewandelter Form – verwendet wird: Institutionen. Bei Veblen manifestieren sich Institutionen, indem sich die Menschen an ihre Umwelt gewöhnen und immer auf die gleiche Weise auf Umweltreize reagieren. “Die Institutionen sind in erster Linie weit verbreitete Denkgewohnheiten.” Sie behindern Neues, basieren auf Vergangenem und sind deshalb rückwärts gerichtet. Dem entgegen stehen Arbeitseifer und Wissensdrang.
Für Veblen entsteht das gesellschaftliche System durch den Konflikt zwischen zwei urmenschlichen Verhaltensweisen: dem “räuberischen Instinkt”, der der Befriedigung des eigenen Ego dient und zu Verschwendung führt, und dem “Werkinstinkt”, der Innovationen ermöglicht und damit den Interessen der gesamten Gesellschaft dient. Mal gewinnt der instinktive Wunsch, Neues zu schaffen, die Oberhand, und Fortschritt setzt ein. Dieser Trieb gehe allerdings immer von unteren Klassen aus. Denn “die Reichen sind konservativ, weil sie nie Gelegenheit haben, mit dem Status quo unzufrieden zu sein”. Sie seien isoliert in ihrem Elfenbeinturm. Am Ende siege jedoch das Raubtier im Menschen. Als Ausweg bleibt für Veblen nur eines: die Maschine, die den Menschen dazu zwingt, sich rational zu verhalten. Eines Tages werde sich die reiche Klasse mithilfe der Technik die Arbeit so weit erleichtern, dass sie sich selbst überflüssig macht. Veblens Utopie.”