Der Spiegel hat 7 Gründe gesammelt, warum Klimaforscher an der Demokratie zu verzweifeln drohen und offenbaren gleichzeitig ein unausreichendes Verständnis von demokratischen Prozessen:
- Erstens: Die Robustheit der wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Klimaerwärmung und der Konsens in der Fachgemeinde haben sich in den vergangenen Jahren nicht nur erhöht. Auch die Zahl der Untersuchungen aus jüngster Zeit, die weitaus dramatischere und länger andauernde Folgen der Erwärmung als bisher angenommen prognostizieren, hat zugenommen. Wie ist es aber möglich, so hört man immer öfter, dass diese zuverlässigen Erkenntnisse einfach keine nachhaltigen und wirksamen Konsequenzen für das Handeln der Gesellschaften haben? Wie ist es möglich, dass die Politik den daraus sich ergebenden dringenden Handlungsbedarf nicht in Taten umsetzt?
- Zweitens: Der Erfolg der bisher dominanten Klimapolitik ist ausgeblieben. Ergebnis der gegenwärtigen weltweiten Rezession ist eine nicht beabsichtigte Reduktion des Anstiegs des CO2-Ausstoßes. Die weltweiten Reaktionen auf die Wirtschaftkrise zeigen aber sehr deutlich, das keine Regierung die Minderung des Wohlstandswachstums als Königsweg zur Emissionsbekämpfung ansieht. Im Gegenteil: Alle in Gang gesetzten Maßnahmen zielen auf eine Ankurbelung des Wirtschaftswachstums ab. Mit dem Anspringen der Konjunktur werden aber auch die Emissionen wieder steigen.
- Drittens: Die Diskussion der Optionen für eine zukünftige Politik geht offenbar davon aus, dass die bisher verfehlte Klimapolitik nur effektiver und rationaler gestaltet werden müsse: Alle Staaten müssten versuchen, konkrete, aber weitaus umfassendere Ziele zur Emissionsreduktion zu vereinbaren. Nur ein “Super-Kyoto” könne uns noch helfen. Wie das aber durchgesetzt werden soll, verfängt sich im Nebel allgemeiner Absichtserklärungen und schärft die Skepsis der Forscher. Aus der Summe dieser Überlegungen entsteht der Eindruck, dass die Demokratie für dieses Problem nicht geeignet sei und die langsamen Verfahren zur Durchsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse uns in ungeahnte Gefahren stürzten. Das demokratische System zum Ausgleich von Interessen müsse angesichts einer alles überschattenden Gefahr versagen.
- Viertens: Spekulationen über eine lästige, gescheiterte Demokratie, die Erkenntnisse nicht zeitnah in Handeln umsetzt, kommen in der Regel von Wissenschaftlern, die sich bisher kaum einen Namen auf dem Gebiet der Politik- oder Kulturwissenschaften gemacht haben.
- Fünftens: In der argumentativen Architektur der ungeduldigen Demokratiekritiker kommt es zu einer unangemessenen Verschmelzung von Natur und Gesellschaft. Die Unsicherheiten, die die Naturwissenschaft aus dem Wissen über die Naturprozesse beseitigt hat, werden auch für die gesellschaftliche Seite des Lebens für vernachlässigbar erklärt. Es wird betont, wir wüssten, was zu tun sei – in Bezug auf die Natur ebenso wie auf die Gesellschaft. Die für die Gesellschaft konstitutiven Unsicherheiten werden daher als elementare Handlungshindernisse wahrgenommen, die so schnell wie möglich – natürlich durch einen Top-down-Ansatz – beseitigt werden müssten.
- Sechstens: Der Diskurs der Ungeduldigen privilegiert hegemonische Akteure wie zum Beispiel Weltmächte, Staaten, transnationale Organisationen und multinationale Konzerne. Partizipative Strategien sind selten, die Senkung der CO2-Emissionen hat Vorrang vor der Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Globale Erkenntnisse triumphieren über lokales Handeln.
- Siebtens drückt sich in der wachsenden Ungeduld prominenter Klimaforscher eine unausgesprochene Vereinnahmung populärer, globaler Gesellschaftstheorien aus. Wir denken in diesem Zusammenhang insbesondere an Jared Diamonds Thesen zum Schicksal menschlicher Gesellschaften. Diamond argumentiert, dass Gesellschaften nur eine Überlebenschance hätten, wenn sie auf eine nicht-nachhaltige Lebensweise verzichteten.