Herzensbildung

Der trojanische Krieg in der Illias – ein Epos über den Krieg, über Liebe, über die menschliche Tragödie. Homer legte in dieser Geschichte aller Geschichten die Basis für alle weiteren Tragödien, die im Menschen selbst angelegt ist. All dieses Streben um die Mitte, der Dualismus, die Selektion, die Gesetze der Natur, der Darwinismus der Schöpfung, all dies ist so ernüchternd und traurig. Und dennoch ist es möglich, ihm zu entkommen durch Herzensbildung. Werner Schröter erläutert dies in der FAZ: ” „Kraftwerk der Gefühle“ stimmt in jedem Fall. Das ist die einzige Waffe, die wir haben in einem Land, in dem Gefühle als Schande gesehen werden und ihre Verkarstung als Weg zur Vergeistigung. Ohne Herzensbildung kommt man nicht voran. Das Gefühl als Träger des Ausdrucks ist eigentlich die humanste Idee, natürlich immer gekoppelt mit dem Denken.” Wir können dies nicht nur im Kino, in der Oper lernen – auch in den Büchern des Homer, mal in der Illias, mal auch in der weiteren großen Geschichte: der Odyssee des Odysseus. Ihr liegt etwas großes inne, sicherlich eine uneingeschränkte Schönheit. Dazu Schröter:

“Schönheit ist etwas fast Absolutes. Ein malgré tout, ein trotz allem. Im Erkennen von Schönheit liegt eine Hoffnung. Ich kenne keinen Künstler, der nicht der Vitalität des Lebens in jedweder Form die Schönheit abgewinnt. Darum ist Picasso, auch im Fall von „Guernica“, wunderschön. Darum liebe ich Goya und van Gogh. Ich finde, wenn man sich nicht mit allen Seiten des Lebens auseinandersetzt, dann ist die Kunst platt. Meine Muse im Geist und im Herzen war immer Maria Callas. Warum? Mir schien sie in allen Katastrophen wie eine Botin von Gott zu den Menschen. Warum? Ihre Schönheit war Wahrhaftigkeit der Mitteilung.”
FAZ: “Man kann also sagen, dass Schönheit auch eine Moral hat?”

“Ist Ethos und Moral dasselbe? Ethos liegt darin. Aber Moral ist ein Begriff, mit dem ich wenig anfangen kann. Ich möchte Tschaikowsky zitieren: Man darf doch wohl vom Publikum verlangen, dass es eine Reise mitmacht, in der es den unaufgehobenen Widerspruch zwischen Schmerz und Schönheit als einen möglichen Weg in die Wahrheit und Wahrhaftigkeit sieht. Für mich ist Schönheit kein Verbrechen und kein Kitsch. Es ist nicht nur „des Schrecklichen Anfang“, wie Rilke schrieb, sondern Schönheit ist ein Seelenbedürfnis des Menschen. Und allein durch die Schönheit ist nicht alles Schreckliche so schrecklich, wie es sonst vielleicht aussieht. So ist trotzdem meine Idee vom Menschen eine utopische: Die Glaubwürdigkeit des Einzelnen in seiner Situation, so befangen und schwierig sie sein mag. Das heißt: Man muss den Menschen lieben, um ihn zu verstehen.”

Schröter starb Ostern 2010, ein langer Weggefährte Alexander Kluges beschrieb er seine Aufgabe nüchtern und treffend: “Kreativ sein zu dürfen ist ein enormes Geschenk. Und das kreative Leben ist das Schönste, was es gibt. Das überträgt sich auch zurück auf die Beziehung zum Menschen. Die Phantasie in der Gestaltung von Beziehung wächst ja auch, wenn man sich dauernd beschäftigt mit diesem Ausdrückenmüssen, mit diesem Zueinander-finden, mit dieser Dringlichkeit. „Una necessitá interiore.“ Man soll das nicht verklausulieren: Es ist einfach eine wunderbare Aufgabe.”

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