Helmut Schmidt, unser Elderstatesmen, unterscheidet hilfreich zwischen Rotchina und dem historischen China. Man muss beides kennen, um China zu verstehen. Das alte China war ebenso schon autoritär geführt wie das Heutige, kannte keine Menschenrechte, ist aber im Unterschied zum leninistischen Marximus kein eigentlich kommunistisches Land. China hat den Kommunismus mit dem Konfuzianismus vermählt und unter Deng Xioping die kapitalistische Form des Wirtschaftens für sich reformiert und dienbar gemacht. Diese Formel ist in Anbetracht der großen Arbeitsressourcen des Bauernstaates China ein Erfolgsmodell, dass allerdings auch bewußt auf die laotsistische Glücksformel immer mehr verzichtet und dem Materialismus frnt wie auch auf einen Schutz der Natur scheinbar mehr und mehr verzichtet. Neben Konfuziamismus, Daoismus und Buddhismus ist natürlich der Kommunismus eine weitere Säule. Es wird sich noch erweisen, wie gut die regierende Partei in der Lage ist, sich in Anbetracht massiver Veränderungen und globaler Problem wie der Klimaproblematik zu reformieren. Die Elite in China ist nicht dumm, sie kämpft sicher mit Korruption, doch weiß Sie um die Schwierigkeiten eines 1,6 Milliarden Volkes und weiß es in Anbetracht dieser Herausforderungen hervorragend zu führen. Der rasante Aufstieg, die Chancen und die grundsätzlich verbesserte Versorgung des chinesischen Volkes sind, so sagte Helmut Schmidt, die vielleicht größten politischen Leistungen des 20. Jahrhunderts gewesen. Das verdient erstmal Respekt. Andere Länder schaffen es nicht, Bürgerkriege zu verhindern und ihre Menschen zu ernähren. China hat dass, wenn auch teilweise mit Gewalt, bei 1,6 Milliarden Menschen geschafft. Ist China also eine Bedrohung für das westliche Erfolgsmodell?
Ja und Nein, wenn auch die Angst vor einem feindlichen, agressiven China unbegründet ist. China war nie, übrigens im Gegensatz zu Deutschland, Japan oder die USA, auf Eroberungsfeldzügen unterwegs. Tibet oder Taiwan ist damit nicht zu verwechseln, es handelt sich aus Sicht der Chinesen hier nicht um eine Eroberung und ihr Landgewinn kennt Grenzen. Eher zeugt die Angst in westlichen Ländern von der Unkenntnis und der Befremdung vor China. China hat viele Facetten – natürlich gab es den Langen Marsch, die Tötungen durch Mao, die Verfolgung von Dissidenten, Kulturverfolgung, ungebildete Massen, die neue Protzsucht der Neureichen, die Zerstörung der natürlichen Ressourcen, all das ist China. Aber es ist eben nicht alles, das Positive muss immer mehr betont werden. China ist ein Riese. Ein Drache, der vielleicht lange geschlafen hat. Aber China war bereits mehrmals das mächtigste Land der Erde, nur dass die Auswirkungen heute global spürbar sind. Und da liegt auch die aktuelle, reale Gefahr: China ist taktisch klug und feiert seinen Erfolg und seine Souveränität auf der Weltbühne. Gleichzeitig will es sich nicht Industrieland nennen und nimmt, dort wo es ihm dient, die Rolle des Schwachen ein. Oder wie in Kopenhagen gar als Spokesman der Entwicklungsländer, was gründlich schief ging. China muss nämlich lernen, dass aus so viel Erfolg und Macht auch Verantwortung wächst. Nicht nur für sich selbst, sondern heute auch für die Welt. Das ist für China sicher etwas Neues.
Natürlich strebt China weiter nach wirtschaftlichem Einfluss, aber gleichsam werden seine Produkte weltweit auch gebraucht. Zu diesen Preisen können Industrieländer nicht die Massen versorgen, die China ernähren und andere Länder noch hinzu. Es darf nicht zum ökologischen Schaden der Welt geschehen, den China wirtschaftet ohne Rücksicht auf seine Ressourcen (der Einzelne zählt in China wenig, China ist alles). Das China wirtschaftlich stark ist, stärkt das ganze System, in dem wir auch wirtschaftlich leben. Konkurrenz gehört dazu, sie belebt das Geschäft auch bei uns, bedroht natürlich die sicher geglaubten Pfründe, die man sicher glaubte (also auch Löhne und Preise). China ist kein Staat, der erobern muss. China ist gross und kein Missionar, wie es die USA gerne sind. Sie vertreten keine feindliche Weltanschauung, denn China hat genug Kämpfe mit sich selbst auszufechten. Der chinesische Drache sprüht Glanz, er kann auch Feuer spucken, doch es ist nicht sein Wesen böse zu sein. Da können die Chinesen von Erfahrungen mit Japanern von ganz anderen Erfahrungen sprechen. Das darf man auch nicht ignorieren, wenn Japan und China schwere Diskussionen miteinander führen, sie haben sich tiefe Wunden zugefügt. Man sollte den Drachen eben nur nicht über Gebühr reizen. Der Drache kann weise sein, wenn man ihn läßt und ihn seiner Rolle die entsprechende Bedeutung gibt.
So ist es ebenso weise von Helmut Schmidt, dass er seine Erfahrungen tituliert: “Man darf sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines anderen Volkes einmischen.” Damit hat er einen unheimlich wichtigen Satz gesagt, der in China, in Afghanistan, ja selbst innerhalb Europas zu beherzigen ist. Es ist nicht dienlich, jemanden seine Fehler vorzuwerfen oder ihn zu formen – es provoziert, es ist ein Angriff in sein “Revier” und es hilft ebenso nicht, das Vehrhalten langfristig zu ändern. Diese Formel hätte die Welt auch in Kopenhagen, auf der Weltklimakonferenz beherzigen sollen, als die USA Klimakontrollen in China forderte. Das ist eine unerhörte Provokation gewesen, die Chinesen lassen sich eben nicht von anderen kontrollieren in inneren Angelegenheiten und geben ihre Souveränität nicht grundlos auf. Es ist auch ein Beweis amerikanischen Misstrauens und eine Machtgeste des Westens, sowas zu fordern. Amerika ist gut beraten, hier zunächst auf sich selbst zu schauen – auch wenn Sie politisch die Werte vertreten, die auch meine eigenen sind. Ich halte Demokratie, freie Meinungsäußerung und meine Menschenrechte für unverzichtbar. Aber sie sind natürlich nicht universelle Rechte – nur die ganze Welt hätte sie zu solchen machen können, es waren aber die Amerikaner, die sie zu universellen Rechten gemacht haben – die Chinesen hatte man nicht gefragt und sie sehen Menschenrechte eben ganz anders. Es ist ignorant, die chinesische Geschichte als unvollständig abzutun – sie ignoriert die Menschenrechte des Westens als unpraktikabel.
Aus unserer Sicht sollte es genügen, diese Werte zu leben und seine Freiheit zu genießen. Man darf sie niemals anderen aufzwingen, die diese Werte für sich nicht als richtig und wahrhaft erkennen können. Das ist weise. Jeder, das wußte schon die Aufklärung, soll nach seiner Facon glücklich werden. Alles andere erzeugt nur Konflikt und auch Krieg. Noch ist Platz genug auf dieser Erde und man darf nicht vergessen, dass die Chinesen als erstes Land mit einem Überbevölkerungsproblem den Mut hatte, die 1-Kind-Politik durchzusetzen – mit allen Folgen, die das mit sich bringt. Die Welt sollte China dafür danken – denn irgendwann wäre sonst auch China für die Chinesen zu klein geworden und die hätten nicht nur mehr Ressourcen gebraucht, sondern immer mehr Raum. Angst vor China ist unbegründet, solange der Westen den Rest der Welt mehr ängstigt als andersherum. Kolonien in Afrika, der nahe Osten, Russland – überall dort, wo es zu Verwerfungen und Kriegen kommt, waren äußere Einflüsse am Werk, die dort nicht hingehörten. Daran sollte sich der Westen erinnern, wenn er aus eigener Angst heraus Schuldige sucht – er braucht davor keine Angst zu haben, nur vor sich selbst. China dagegen sollte Mut haben, dass zu tun, was es tun muss: Seine Verantwortung gerecht zu werden, die große Macht mit sich bringt und weise wie demütig, nur nie übermütig und vorschnell zu handeln. Was nicht nur China, sondern alle lernen müssen aus Kopenhagen, dass ist etwas ganz anderes: Ein Wirtschaftsmodell zu bauen, dass nicht nur daraus besteht, natürliche Ressourcen zu verschwenden, sondern einen neuen Kapitalismus schafft – den “grünen” Kapitalismus, der auch der Umwelt einen Wert beimißt.