Michael Findlay hat ein Einführungsbuch namens “Vom Wert der Kunst” für Sammler geschrieben, um die Kriterien zu entschlüsseln, die den Wert von Kunst ausmachen. Auch wenn das Buch allgemein und vielleicht einfach gehalten ist, ist es dennoch interessant, wie ein ehemaliger Spieler im Kunstmarkt (er war ehemaliger Direktor bei Christies und Gallerist) diese Dimensionen definiert und was ihn prägt.
Die Frage des Buches ist nicht, was denn Kunst überhaupt ist. Oder ob bestimmte Kunst einen Wert hat oder nicht. Dem kann man viele eigene Bücher widmen. Kurz gesagt, sicher ist Kunst nicht im eigentlichen Sinne nützlich. Die gute Gestaltung einer Kaffeekanne ist nicht Kunst, höchstens Kunsthandwerk und eine Frage der Gestaltung. Und ob Nutzgegenstände überhaupt künstlerische Veredlung erfahren sollten, darüber kann man geteilter Meinung sein. Aber Kunst war schon immer da. Kunst gibt es seit 30.000 Jahren, selbst Höhlenmenschen maßen der Darstellung von Jagdszenen so etwas wie einen künstlerischen Wert zu und verzierten damit Ihren Wohnraum. Dass es um dekorative Aspekte allein ging, darf bezweifelt werden. Die Betrachtung einer Jagdszene löste sicherlich viele Gefühle, Erinnerungen und Erfahrungen aus, die vielleicht sogar spirituell waren. Da die Erfindung des Geldes erst ca. 10.000 vor Christi Geburt passierte, gibt es nach Findlay neben dem banalen Gelde 2 von 3 Kriterien, die mit Geld nichts zu tun haben:
1.) Euphrosyne: Der gesellschaftliche Wert der Kunst
2.) Aglaia: Der eigentliche Wert der Kunst
3.) Thalia: Der kommerzielle Wert der Kunst
Findlay, ganz Gallerist und Auktionator, schreibt den eigentlichen Wert der Kunst nicht überbordenden und intellektuell verklausulierten Theorien zu. Er verweist auf sie, erklärt sie aber nicht, sondern schiebt den Wert auf das individuelle Auge des Betrachters. Als ehemaliger Direktor von Sothebys ist dies auch eine sinnvolle Position, denn ansonsten ist es kaum möglich zu verstehen, wieso so unterschiedliche Kunstwerke wertgeschätzt werden, dass es eigentlich keinen Kanon über Kunst geben kann. Und es ist einem quasi auch gleich, denn wenn er Kunst vertreibt und diese einen Wert hat, entspricht ihm dass erstmal ganz praktisch. Der gesellschaftliche Wert der Kunst ist eher der Zirkus um das Werk herum. Sprich die Eitelkeit des Sammlers, die Vernetzung des Galleristen, der Trubel auf der Kunstmesse, die Events vorab, das mediale Echo oder aber die öffentliche Diskussion später hierzu.
Nur weil ein Bild das Teuerste ist, kann der Preis nicht das Kriterium sein. Das beste Bild wäre schlicht das Teuerste. Es ist letztlich nicht das meistgemochte aller Bilder, sondern es ist das Werk dessen Preis der zu dieser Zeit wohl finanziell potenteste Sammler bezahlen kann. Viele würden auch davor zurückschrecken, was denn eine demokratische Entscheidung für Kunst als das schönste aller Bilder bestimmen würde: Vielleicht ein Rosenbild in schwachen Pastellfarben? Nicht unwahrscheinlich, dass dies deutlich mehr Menschen gefällt als ein großformatiges Bild von Kiefer aus Stroh und Öl. Allein durch den hohen Preis findet eine Vereinzelung statt. Es ist zwar anzunehmen, dass der Sammler mit dem höchsten Bieterpreis einen Wettbewerb für sich entschieden hat. Aber es ist ein Wettbewerb im Kapitalismus, der die Selektion undemokratisch macht. Da ein Künstler vermutlich immer erst seiner eigenen Nahrungsbeschaffung nachgegangen ist, ist gerade aufwendige Kunst immer eine Luxusgut gewesen. Denn es brauchte dafür Zeit, in der nicht gejagd und gesammelt werden konnte. Was einen Menschen antreibt, Künstler zu werden und etwas zu schaffen, ist noch mal eine andere Frage.
Zurück zum teuersten Bild: Was, wenn dieses teuerste Werk in uns Bewunderung erzeugt? Dann ist es vielleicht eher die Vorbeugung vor dem Geld als vor dem Werk selbst, so ist anzunehmen. Zeitungen drucken das Bild nicht sonderlich groß ab, der Preis und die genauen Daten werden aber präzise und gut leserlich genannt, denn dies ist es, was aktuell die Nachricht ausmacht. Findlay beschreibt beispielhaft, dass eine japanische Versicherung der Auktionsgewinner von Van Goghs Sonnenblumen für ca. 40 Millionen $ war und die Begründung für diesen hohen Wert und den Impuls zu Kaufen darin sah, dass das Gründungsjahr der Versicherung mit der Schaffung des für dieses Jahr vielleicht bedeutendsten Werkes zusammenfiel. Eigentlich ein Zufallskriterium und vollkommen abstrus. Auch ist der sinnliche Wert von Sonnenblumen kaum in Zusammenhang zum abstrakten Geschäft mit der Wahrscheinlichkeit zu bringen, welches Versicherungen auszeichnet.
Am Ende waren es aber eher die Randnotizen, die mein Interesse auf sich zogen. Für Menschen im Kunstbetrieb ist es vielleicht banal, aber die Trends des Kapitlalismus sind scheinbar mit Verzögerung identisch in den Kunstbetrieb eingeflossen. Aktuell in einer Art und Weise, die den „eigentlichen Wert“ eher dem Fast Food zuordnet. Verächtlich schreibt Findlay über die Gier des Damien Hirst und natürlich ist der Effekt zoologischer Präparate bzw. das Thema Vanitas und Tod ein geradezu banales, welche die Kunst seit Jahrhunderten bewegten und Hirst nicht neu interpretierte, eher wiederholte mit etwas exotischeren Tieren wie einem Hai. Dass die berühmte Auktion am gleichen Tag wie dem Zusammenbruch der Lehmann Brothers fiel, war ein amüsanter Zufall genauso wie die dortige Versteigerung des goldenen Kalbs sinnbildlich war für den Hype, der Hirst umschlung. Der Zusammenbruch war aber auch der der Kunst von Hirst, nie wieder erzielte er derartige Preise wie an diesem Tag. Was aber klar war: Hirst und seine Produkte waren eine Marke. Diese Markenbildung dient der Unterscheidung, sie will Qualitäten kommunizieren und vom eigentlichen Inhalt ablenken, der nach den Gesetzen des Fließbandes effizient und produktiv erzeugt wird. Der Kunde konsumiert die kommunizierte Marke samt Ihren Eigentschaften und merkt nicht, dass er statt edlem Erdbeerpürree lediglich Matsche mit Aroma kauft. Ähnlich vermute ich würde er über Jonathan Meese und andere bekannte Epigonen schimpfen, deren Kunst auch bei langer intensiver Betrachtung hohl und leer erscheint.
Wo mit Marken begonnen wird, geht es munter weiter mit den klassischen vier Marketinginstrumenten, Kommunikation-, Distributions-, Preis- und der Produktpolitik. Diese Professionalisierung des Galeristen- und Künstlerbetriebes sind einleuchtend, auch scheinen Sothebys und Christies im Auktionsmarkt so eine Beliebtheit zu besitzen, weil Ihr Mechanismus eines Handelsortes viele Sammler an Ihr Haupttätigkeitsfeld erinnert, den Handel mit Wertpapieren und Derivaten. Mit ähnlichem Gespür wie für spekulative Bewegungen in dem einen Markt glaubt man an Parallelen andernorts. Dabei versteht keiner den Markt, er muss lediglich Amüsement darin finden, das Handeln des Menschen ein wenig zu abstrahieren und in Muster zu pressen, die nicht da sind. Die Megaverkäufe der Auktionshäuser fallen zeitgleich zusammen mit dem Megareichtum, den die Finanzbranche geschaffen hat. Und natürlich ist es nicht möglich, dieser Menge an Geld in gleicher Zeit die gleiche Qualität an Kunst aufzubieten, die noch in hundert Jahren nachwirken wird wie ein Kandinsky oder Klee.
Ein eher tragischer Aspekt ist die Rezeption der Kunst selbst. Die Verdichtung des Alltags macht es fast unmöglich für den normalen Arbeitnehmer, Kunst lange wirken zu lassen. Beschleunigt wie er seinen Alltag erfährt, rast er im Museum oder in Gallerien die Werke ab und hofft auf einen Impuls, eine starke Wirkung. Am besten gleich Gier und volle Befriedigung zugleich. Um nicht versehentlich Gewichtiges zu übersehen, helfen Audioguides im Museum und übernehmen die Interpretation gleich für einen mit. Also der Konsum ist vollständig, wenn er nicht nur Zugang erhält, sondern gleich auch die subjektive Bedeutung aufgibt und sich dem Kanon des Sammlungsleiters anschließt und dessen favorisierter Kunsttheorie gleich mit. Was mit Audioguides eher eine Petisse ist (man kann sie schlicht ignorieren), findet im Internet noch eine ganz andere Dimension. Das neue Medium ist so mächtig, dass es in Smartphone oder bald Uhren und noch kleineren Geräten ständig uns begleitet. Und weil es uns immer begleitet, unterbricht es auch unsere Gedanken ständig. Hier popt etwas hoch, dort will einer eine Whatsapp beantwortet wissen. Eine Zeitspanne von 10 Minuten ohne Unterbrechung zu erhalten ist geradezu außergewöhnlich. Weil der Nutzer aber so getrieben von der Maschine ist, reagiert er wie ein Abhängiger: Noch bevor er eine Nachricht erhält, fragt er das Netz selbst neu ab und erhält wieder neue Informationen, die er gewichten und kategorisieren kann. Von Wirkung oder Entfaltung des Gedankens brauchen wir nicht zu reden, diese virtuelle Welt schätzt die Philosophie nicht, sondern gehorcht den Gesetzen des Rechners. Wie, so also die offensichtliche Frage, können wir Depotkunst, die lange braucht zu wirken, überhaupt noch rezipieren? Vermutlich findet etwas ähnliches statt wie bei Lebensmitteln: Den größten Marktanteil haben Konsumprodukte der großen Markenherstellern. Und nur bei ein paar Unbeugsamen (doch trotzdem begüterten) Konsumenten ist der Wunsch nach echtem Fleisch vorhanden, sie setzen quasi auf Bio-Kunst, nach alter Methode hergestellt und rezipiert – trotzdem eine selbstgewählte Nische, die die absurden Beträge der Autkionshäuser nie erreichen wird.
Findley erwähnt noch etwas anderes: Neben der Akkumulation von viel Geld bei Megareichen hat sich der Begriff „Lifestyle“ aufgeladen. Neben Zweitwohnsitz, Wellness und Weinverkostungen finden Originalkunstwerke in den luxuriösen Häusern statt als dekorative und vor allem teure Extras. Es zählt nicht die Aussage, sondern die Einbettung in das farbliche Ganze und den Stil, denn der Besitzer kommuniziert. Klar, der Stil ist auswechselbar, nie persönlich – denn professionell ist man und gibt ihn in geschulte Hände, die dies für entsprechendes Salär erledigen. Sicher ist nur, dass der Lifestyle-Konsument solange auf dem Trend mitsegelt, solange er konsumiert. Kunst ist die Ergänzung zu Mode und Events, ein spannendes Leben entsteht aus der Bewunderung und dem neid, so einfach ist die Gleichung. Tatsächliche Befriedigung erfährt man so nicht, die Erweiterung mit Drogen ist dann schon für viele ein Zug ohne Wiederkehr. Kunst zu schaffen ist natürlich dann auch hohl, wenn es sich um ein passendes Konsumprodukt handelt. Es muss dann eher anderen Kriterien genügen wie die von Jeff Koons: Perfekt produziert, von hohen Erstellungskosten und großer Dimension. Der aufgeblasene und verknotete Hund aus Ballons ist sicher nicht billig, sondern ein teures Vergnügen gewesen, wenn Koons ihn 5 Meter groß erstellen läßt. Er referenziert auf die gleichen Welten wie der Luftballon, er erschöpft sich aber auch schon darin, er fügt ihm eigentlich wenig hinzu, außer einer Perversion, dem verlassen der Norm. Darin ist er seinen Eigentümern vielleicht nah, weil deren Egos und Bankkonten auch die Norm stark verlassen haben.
Eric Janzens „Hyperinflation des Assetpreises“ wird referenziert, darunter versteht sich der gigantische Anstieg der begehrten Luxusassetts, der aus einem eigenen perversen, sich selbst bestätigenden Glaubenssystem entsteht. Natürlich sind die echten Ikonen zahlenmäßig so begrenzt wie die besten Grundstücke an der Côte d’Azur – wer also hier dabei sein will, der muss dass zahlen, was die Reichsten der Reichen zu zahlen bereit sind. Das es abseits der Côte d’Azur weitere schöne Strände gibt, ist doch eigentlich offensichtlich, doch die Herde drängt nunmal dahin, wo die teuerste Champagnersause gerade stattfindet. Traurig wäre es, wenn aber die Begeisterung für Kunst sich von dem ganzen treiben ließe und der Mensch subsumiert, dass Kunst ein Quatsch ist, denn sich die Superreiche als Dekoration für Villen leisten wie Orgien und sonstigen Mumpitz, von Yacht bis Supersportwagen. Das wird uns nicht davor schützen, dass genau dass aber die Presse weiterhin bestimmen wird.