In der Zeit war ein kleines Porträt über Jan Böhmermann, darin folgender Auszug:
“Es steckt einiges von Harald Schmidt in Jan Böhmermann, das hat Vor- und Nachteile. Beiden gemeinsam ist eine Unzufriedenheit, eine kluge, lustige Wut auf die Verhältnisse. Beide sind schnell und damit den Zuschauern immer ein bisschen voraus. Schmidt will mit den Zuschauern schon lange nichts mehr zu tun haben – Böhmermann muss aufpassen, dass er ihnen nicht enteilt, denn er ist in seinem Bereich ein Hochbegabter. Hochbegabte neigen zur Arroganz, aber Arroganz kommt im Fernsehen nicht gut an. Harald Schmidt galt als hochbegabt, und in der ARD hielt man es Anfang der neunziger Jahre für eine gute Idee, ihm die Show Verstehen Sie Spaß? zu geben. Aus der Idee wurde ein Desaster, die Zuschauer, die jahrelang an das Moderationspaar Kurt Felix und Paola gewöhnt waren, wandten sich ab; sie spürten, dass Schmidt weder etwas mit der Show noch mit ihnen anfangen konnte. Böhmermann muss, um die Massen zu begeistern, ein paar Gänge runterschalten – wenn er denn die Massen begeistern will und nicht nur seine Grenzen austesten möchte.
Stellen wir mal fest: Jan Böhmermann und Harald Schmidt haben so absolut gar nichts miteinander gemein, erst recht nicht Hochbegabung, das würden beide gerne abstreiten. Bei Schmidt wußte man, dass er ein ziemlich breites kulturelles-geisteswissenschaftliche Wissen besitzt und danach strebte, den Kanon der kulturellen Elite zu kennen. Aber er selbsz kein künstlerisches Genie, er besprach nur unterhaltsam und ironisch das, was er für hohe Kunst hielt. Da sahen die Kim Kardashians der 90er eben ziemlich dämlich aus, er enttarnte zuverlässig, wenn niemand keine Substanz hat. Es mag sein, der Humor speist sich bei Schmidt wie bei Böhmermann auch aus einer moralisierten Wut über die Verhältnisse, sprich beide könnten sowas wie einen verletzten moralischen Kompass in das Fernsehgeschäft mitgebracht haben. Wo aber bei Schmidt eine Art Zynismus und Langeweile entstand, verbreitet Böhmermann immer noch persönliche Unsicherheit, Aktionismus, Empörung, Sarkasmus, Unausgeglichenheit. Fantastisch ist er, wenn der “Diss” gut gescripted ist, wenn man sich von Facebook-Kommentaren und Wut über Heuchelei hat aufladen können. Dabei wird gerne etwas zuviel gewollt: Keine Formulierung ohne Nebensätze, breite Umschreibung und tolldreiste Aneinanderreihungen von beschreibenden Adjektiven, die in der parlierten Geschwindigkeit wie ein High Speed-Tickeln der Lachrezeptoren fungieren. Irgendwann macht es Tick, da war sie, die lustige Umschreibung, der Wortwitz. Aber auch viel Verschnitt.
Fantastisch modern und aussergewöhnlich ist aber die Bühne bei Böhmermann. Vor allem ist das Neo Magazin visuell ein großes Stück Gegenwartskultur, ein lässiger graphischer Ausschnitt der Hipster-Kultur der Großstädte der 2000er, die in den flotten großartigen Schnipseln und teils längeren Videos musikalisch könnerhaft untermalt werden. Technisch perfekt, motiviert von jungen Leuten hergestellt. Das graphisch feinst poppige Design des Studios (machen die eigentlich auch die Deichkindplatten?), der Vorspann (bei der ersten Staffel war er noch schöner und aberwitziger) sind wie eine gute deutsche Hip-Hop Platte: Ein paar gute Beobachtungen, News, Allgemeinplätze, gepaart mit Slang, viel Speed und harten Beats, damit die Emotion auch rüberkommt. Wie in allen Talkshows ist aber nur dass witzig, was längst alle begriffen haben. Ein Common-Sense, der hier nur eine Spur frecher oder cooler rüberkommen soll. Für Feinsinnigkeit hat Böhmermann in 30 Minuten keine Zeit, da liess Schmidt es viel mehr plätschern. Sein Format war zwar von Lettermann geklaut und nicht mal ansatzweise überarbeitet oder an deutsche Sitten angepasst. Naja, man hätte soviel mehr aus Schmidt machen können…
Echte Coolness aber geht im Neon Magazin nicht, Böhmermann ist weder schön, noch cool oder lässig noch als Mensch besonders eindrucksvoll; wahrscheinlich ist er auch einfach nur verkrampft nett. Böhmermann, so merkt es der Zuschauer, will viel und er arbeitet hart dafür. Wie sein Team, die alle unbeschriebene Blätter waren und schon jetzt ziemlich maximal viel daraus gemacht haben. Perfekte Shows gab es bislang eher abschnittsweise, aber sie könnten kommen. Wenn er also am Ende doch das Zertifikat “Cool” hat, dann weil er es sich verdient hat. Nicht weil er es einfach ist. Er ist eigentlich ziemlich deutsch und vielleicht das Paradebeispiel für die Enddreissiger-Anfang 40er in unserem Ländchen. Gehetzt im Tunnel auf dem Weg nach oben (hoffentlich), so locker wie bei den Eltern war das beruflich irgendwie bislang alles nicht und Überstunden gehören wohl immer dazu. Intrigen lernen, Politik, das muss heute auch der Vorabeiter verstehen. Arbeiten, das machste eigentlich so lange bis Du den Burn-Out kriegst, die Rente kommt später. Vorab darf man über ein paar Hater, Trolls und Deppen nochmal einen Diss reimen, der ist dann in seiner ungeschminkten Vortragsweise sogar selbstzerstörerisch. Wenn es die Psyche aushält.
Böhmermann ist vielleicht gar nicht so lustig, eher ernst. Er ist gut vorbereitet, verlässt sich weniger auf Gefühlsduseleien oder Freaktalk wie seine alte Kollegin Roche, die nun Feuchtgebiete mit sowas wie Literatur erkundet und dabei im Vaginalsaft schleift. Ob sie im Streit auseinandergingen in ihrem alten Format, weiß man nicht. Schon damals war aber der Rahmen kongenial gestrickt in der Bild und Tonfabrik, das Studiodesign, jedes Utensil, Licht und Retrowirkung waren so authentisch, dass sie nur erfunden sein konnten. Sie zeigten hinter den Dunstwolken von Zigaretten aber gutes Handwerk. Den Fleißigsten in der Klasse also vorzuwerfen, sie seien überambitioniert und verdienen mehr Gelassenheit, das war in der Schule schon die fieseste aller möglichen Beurteilungen. Jan will mehr und er will es bald. Die Vorschusslorbeeren sind da, aber dank Quote (beim ZDF möglichst besser jung als nur weiblich) sollte er sie nutzen. Im Fernsehen geht’s um Unterhaltung, da ist gerade um die Uhrzeit vielleicht auch nicht ganz soviel Speed nötig, wie hier in Mengen eingeworfen wird. Jan, sei entspannt, die Zeit wird kommen – vielleicht müssen die anderen dafür einfach nur in Rente gehen. Ist in Deutschland halt so, Ausdauer wird belohnt. Alleine den Sendeplatz auszuhalten, das ist schon hart genug. Aber sicher hat er sie, die Eier aus Stahl. Nur bitte nicht vorher schon ausgebrannt hinter der Manage zusammenklappen, das lohnt doch wirklich nicht.
Nachtrag vom 19. März 2015: Solche Dinger wie der “Stinkefinger von Varoufakis” bringen natürlich den Heldenstatus, denn groß ist Böhmermann, wenn er perfide ist. Medienkritik vom allerfeinsten!