Nach dem schändlichen Mord an Boris Nemzov im alltäglichen Moskau, dem Völkerrechtsbruch der Krimannektion, den Verfahren Chodorchowky oder dem Mord an Anna Stepanowna Politkowskaja stellt sich die Frage: Kann es überhaupt je ein demokratisches, stabiles und offenes Russland geben? Oder ist Russland eine Bestie, ein Dämon, der nur durch harte Tyrannenhand gebändigt werden kann?
Vladimir Putin hat seinem “Buddy” Gehard Schröder erfolgreich die Denke eingepflanzt, dass es in Russland harter Regierungsmethoden brauche, um nicht vom Apparat gefressen zu werden. Eine westliche Demokratie ist unvorstellbar. Ein derart geographisch gestrecktes Land mit vielen Zeitzonen bändigt man nicht mit Schmusekurs, so die Doktrin von Vladimir. Ein Herrscher, der Menschenrechte achte und seiner Opposition Respekt zollt, der überlebt in Russland nicht lang, er wird Opfer brutaler Intrigen. Denn die Bestie ist am Kopf voller scharfer Zähne gespickt: Reste des KGB im FSB, das Militär, der Kreml, die Oligarchen, überall Schlangenköpfe, die Gift versprühen. Auch die Geschichte liefert in gewisser Weise für Putin Beweise: Iwan, der Schreckliche. Peter der Große. Der vielleicht neben Mao und Hitler grösste Massenmörder aller Zeiten: Josef Stalin, Dserschinski und akuell Putin selbst. Ihre Philosophie war stets: Stärke und Grösse erreichte Russland nur, wenn es innere Feinde mit brutaler Gewalt niederstreckte.
Nicht zu vergessen, es ist es bei Putin der Narrativ eines ehemaligen KGB-Offiziers, nicht eines Zivilisten. Es gibt Gegenbeispiele, die diese Mär zum Teil widerlegen können: Breschnjew, Katharina die Grosse I., Gorbatschow u.a.. Sie hatten Ihre Apparate fest im Griff ohne gleich Gegner in Massen zu ermorden, zumindest nicht mehr, als dies Nachbarstaaten taten. Wenn eine Staatsordnung zerfiel, dann ist das nicht immer eine Frage der Führung, sondern auch des Systems selbst. Seiner Philosophie, seines Wirtschaftsystems, seiner allgemeinen Zeitmässigkeit und seiner Effizienz in der Güterversorgung, so es nicht gleich kapitalistisch funktioniert. Alte Kolonialstaaten, Frankreich und England an erster Stelle, mussten in ihren ehemaligen Kolonien den Drang zu Freiheit und zur Unabhängigkeit registrieren und öffneten sich hierzu in Folge des zweiten Weltkrieges. Es war der Moment Ihrer Schwächung, der die alten Kolonialsysteme zerfallen ließ. Die wirtschaftliche Macht hatte sich von Frankreich und England auf Amerika verschoben. Als sich das britische Empire überholt hatte, lösten sich die Kolonien in Gewalt und blutigen Revolution los und blieben, wenn es gut lief, in einem föderalen Verbund wie dem Commonwealth. Selbst Ghandhi konnte die blutigen Unruhen an der Grenze zu Pakistan nicht verhindern. Nichts dergleichen schafft Russland aber, es will seine ehemaligen Provinzen weiterhin mit Gewalt an sich binden und diktiert die Vision einer eurasischen Union. Einem Gegengewicht zur EU, aber geformt nicht durch einen Friedensplan, sondern durch Androhung von Gewalt. Ob Georgien ,Tscheschenien oder jüngst die Ukraine. Hier vor allem übt Putin grobe Gewalt aus, durch alliierte Verbrecher (Kadirov in Tschetschenien), durch Guerilla-Taktik (Ukraine mit Separatisten) oder nun schlicht Mord an der Opposition (Nemzov). Ob die Mordlinie direkt in den Kreml führt, ist eigentlich zweitrangig. Entscheidend ist, das sowas in Russland eben passiert und nicht aufgeklärt wird. Ob der Kopf der Schlange im FSB, dem Kreml oder dem Militär liegt, wer weiß das schon.
Um Putins Machtapparat herum wird es in letzter Zeit stets kälter, von Stolz und Nationalismus überstrahlt tritt langsam Hass und Frust im russischen Volk zu Tage. Der Kleptokrat ist unübersehbar ein moderner Tyrann geworden. Kein Russe würde es leugnen, doch es ist die Frage, ob ein milder Tyrann dem Chaos nicht vorzuziehen ist. Es ist zu einfach, die Art eines System nur seinem Volk anzulasten, dass es selbst gewählt hat. Wenn dieses Machtsystem harte Gewalt ausübt, um sich zu schützen, es Wahlen gezielt manipuliert und Gelder für Massenpropaganda hat, die andere nicht haben, so ist es nur eine versteckte Form der Tyrannei. Es gab nach Zerfall und Chaos bei Ende des Sowjetreiches viel Anarchie, unklare Systemverhältnisse. Aber nur kurz, einen Hauch lang in der Geschichte, denn wie alle autoritär geführten Staaten sucht das System nach dem Zusammenbruch auch neue Autoritäten. Es wünscht sie sich gewissermaßen herbei. Wie ein Hund, der stets geprügelt wurde, mit seinem streichelnden Besitzer wenig anfangen kann und sich nach der Peitsche sehnt. Ein sadomasochistisches Verhalten, gleichsam nicht unnatürlich. Die Angst vor Autoritäten wurde im KGB belebt, sie wurde quasi während der Wendezeit konserviert. Viele Strukturen wurden von hier aus mit neuem Geld versorgt. Eine echte Revolution nach Gorbatschow zerlief sich unter Jelzin, es gab schlicht keine politische Kultur von der Basis her, nur Gehorsam oder Lethargie. Dass die Wirtschaft in Oligarchen verteilt wurde, war ein großer volkswirtschaftlicher Fehler, aber scheinbar eine einfache Art, den Frieden wieder herzustellen.
Revolution ist nicht einfach. So muss sich eine neue Staatsordnung quasi durch den “anschwelenden Bocksgesang” langsam ankündigen, sie muss für die Eliten vorteilhaft sein oder sie hinwegfegen wie einst im roten Oktober. Zunächst braucht das Land aber eine Ideologie, die Feuer fängt. Es ist nach Stalin schwierig gewesen, die Mordapparate des KGB, die Gulags und die Gerichte wieder zu zähmen. Sie dienten sich gleich dem nächsten starken Mann an, sie schufen ihn gleichsam. Ist es somit nicht zwangsläufig, dass jeder neue Herrscher dies nur wird, wenn er selbst zum Mörder wird und die Gewalt an sich reißt? Würde Putin die Macht freiwillig abgeben? Ich glaube, man ist kein Pessimist, wenn man das behauptet, man muss in Russland sowas wie einen tragischen Realismus entwerfen.
Deutschland fand nach dem zweiten Weltkrieg nur unter Aufsicht der USA in eine starke neue Ordnung. Sie war vielleicht legitimiert, aber letztlich waren die USA der Souverän und hätten eine weniger demokratische Ordnung, die sich gar sozialistisch aufbaute, niemals akzeptiert. Die Ordnung mußte in die NATO eingebunden sein und natürlich kapitalistisch. Die Abmilderung des Kapitalismus in der sozialen Marktwirtschaft fand man ein interessantes Experiment.
Russland wird eine solche Erfolgsgeschichte wie die der BRD auf absehbare Zeit nicht vergönnt sein. Ein Zerfall Russlands muss aber genauso vermieden werden. Alleine schon aus praktischen Gründen der Administration. Die Weltgemeinschaft könnte das Land nicht ohne seine Initiative hin regieren. Die Gefahr einer Militärdiktatur existiert ebenso, man denke an die Revolution unter Jelzin, wo ein Putsch knapp vermieden wurde. In einigen Schichten und Administrationskreisen fand eine Revolution auch nach Ende des Sowjetreiches gar nicht statt. Es gab keine Bereinigung der kommunistischen Vergangenheit, der Apparat war da und Putin stärkte ihn wieder. Insbesondere die Wirtschaft ist überholt, weil sie in diesen Strukturen verharrt. Keine lebendige Wirtschaft ist denkbar mit den monopolistischen Oligarchen, keine parlamentarische Demokratie wird sich etablieren mit FSB und KGB im Hintergrund. Es gibt keine sinnvolle zivile Courage für die Bürger mit einem starkem Militär als Spieler am Tisch. Die Russen selbst befolgen schlicht Konfuzius, trinken ein wenig Vodka und sind vielleicht depressiv, aber nicht dumm: “Wenn ein schlechter König herrscht, zieh dich zurück in eine Höhle. Diene dem Staat nicht und warte auf seinen Zusammenbruch.”
Kein Land mit Zukunft, aber immer noch Atomwaffen. Grund zur Depression ist das genug. Hoffnung ist in Russland trügerisch. Und die Opposition bezahlst Du vielleicht mit Deinem Leben. Es wird noch viele Helden fressen, dieses Russland. Ein merkwürdiges Land, trotz seiner Größe Ort der Sehnsucht, der unendlichen Natur und in diesem Punkt den USA ähnlich. Aber seine Gesellschaft ist nicht frei, ohne diesen libertären Geist und den romantischen Wunsch in eine russische Zukunft wird es keine gute Zukunft für Russland geben.