Vegane Heucheleien

Im urbanen Raum köcheln die neuen Ernährungsstile langsam über: Veganer, einst Exoten wie yogische Hüpfer, erkämpfen sich die Deutungshoheit über dem Esstisch. Waren Vegetarier noch milde Gesinnungstäter, fühlen sich Veganer heilig dank totaler Konsequenz. Wo Vegetarier flexibel sind, wittern sie hier das Verrecken auf halber Wegstrecke. Nicht Abkehr vom Fleisch allein, sondern das Tierische an sich ist Ihnen suspekt. Diese Feststellung wäre nicht von sonderlicher Bedeutung, würden die Veganer nicht auch sattsam die Gründe Ihres Verhaltens mit allerlei Argumenten auswalzen wie Pizzateig. Nicht nur im Biomarkt wabbert das Gefühl durch die Großstadt, dass der Verzicht auf das Tierische eine Art von Askese bedeuten würde. Askese war schon in der Antike eine Schule von religiöser und philosphischer Natur. Macht Enthaltsamkeit im Sexuellen heute nur wenig einleuchtende Vorteile mit sich bringen, so ist der vegane Lebenswandel also ein rühmliches Unterfangen und Zeichen von Charakterstärke. Wo Verzicht auf fleischlichen Genuss zumindest eine gewisse Willenskraft bezeugt, ist der logische nächste Schritt die Kasteiung. All dies ist dienlich, wenn das eigentliche Ziel erlangt werden soll: Erleuchtung und Seligkeit. Missionarische Behauptungen, wie segensreiche der eigene Weg ist, sind zwangsläufig und bestärken den Prediger am stärksten in seinem eigenen Glauben.

Was die Lehre so schlagkräftig macht, sind aber Behauptungen darüber, dass der Verzicht aufs Fleisch zu einer Gesundung des Leibes führt und das Denken klarer macht. Und auch die Welt würde durch einen gemüsereichen Essensstil gesünder, wir entlasten die Erde von chemischen Keulen und verschwenden keine nahrhaften Lebensmittel als Futtermittel. Last but not least sind es alte Pflanzenarten, von denen besonders heil ausgeht. Dass vergessene Wissen um die Heilwirkung des Natürlichen wird hierbei beschworen. Udo Pollmer, der Polemiker der Ernährungsbranche, Verteidiger des gesunden Menschenverstandes und rationaler Wissenschaft, hat die Veganer als neues Feindbild ausgemacht und sammelt Argumente contra des neuen Gesinnungswandels. Einige sind dermaßen stichhaltig, dass sie einfach nicht so zu verwerfen sind.

Beispielsweise ist da der intensive Verzehr von grüner Rohkost. Besonders “Grüne Smoothies” sind verschrien als Gesundheitsbomben. All die Pflanzenstoffe, die man sonst nicht verzehren kann, werden mit moderner Technik so fein püriert, dass selbst der Brokkolistrunk roh verzehrbar wird. Nun muss das Grünzeug von Wasserdampf nicht gequält werden, sondern enthält sämtliche wohlbringenden Stoffe. In der Tat, alles bleibt enthalten. Aber vor allem auch die weniger gesunden Seiten pflanzlicher Kost: Natürlich gebildete Abwehrstoffe gegen tierische Fressfeinde, voller Bitterstoffe und leberbelastender Gifte. Das schmeckt nicht umsonst bitter, es wurde von der Natur designed um nicht gegessen zu werden. Für die Gedeihung junger Menschen eine Katastrophe. Auch der Ersatz von Fleisch durch Weizenkleber wie Seitan ist nicht ohne, er besteht aus Gluten, gerade dem Stopf, der die Zäliakie auslöst. Sojaprodukte sehen auch unverdächtig aus, doch sind sie voller pflanzlicher Sexualhormone. Eine intensive Sojakost führt bei Zuchtschweinen, die sich das Biosiegel verdienen wollen, schon mal zur Geschlechtsumwandlung. Beim Menschen macht sie Männer ab einer bestimmten Dosis unfruchtbar. Eine tolle Nebenwirkung, die die Enthaltsamkeit vollständig macht.

Auch die Argumente, die Energiebilanz von fleischlicher Kost sei katastrophal, muss man relativieren. 60& der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche taugen nicht zum Gemüseanbau. Wohl aber, bspw. der Alpenraum, zur Weidewirtschaft. Statt also nichts zu gewinnen, sind tierische Lebensmittel eben ein Geschenk fruchtbaren Bodens. Soll man also für die Veganer 60% aller ertragreichen Flächen stilllegen? Das löst die Ernährungsprobleme von 7 Milliarden Menschen sicher ebenso wenig wie der ausschließliche Anbau von Biolebensmitteln. Diese Art der Erzeugung hat den großen Nachteil, dass fast die Hälfte des Anbaus Schädlingen, Pilzen oder Erkrankungen zum Opfer fällt. Gleiches muß man auch von der besonders tierfreundlich verrufenen Biozucht sagen, wo die Anfälligkeit des Viehs besonders malträtiert wird.

Schwierig wird es natürlich zu widerlegen, dass Veganismus zu einem besseren Körpergefühl führt. Diese Behauptung ist subjektiv und somit auch subjektiv wahr. Der äußere Betrachter erkennt aber oft ein Verschmelzen von neuem Ernährungsstil mit einer neuen Form der Selbstpflege. Sprich, was mit Ernährung beginnt führt sich fort in mehr Bewegung und strenger Beobachtung des eigenen Verhaltens. Verwahrlosung und Vernachlässigung sind die eigentlichen Feinde. Und dass ein gesunder Umgang mit dem eigenen Körper das Wohlbefinden erhöht, ist sicherlich keine Erfindung der Veganer, in guter Dosis führt vor allem die Bewegung zu einer Ausbalancierung des menschlichen Körpers.

Was also tun, mit gläubigen Ernährungspredigern, die uns die Enthaltsamkeit vom Tierischen vorschreiben wollen? Was, wenn aus Glaubensüberzeugungen Politik wird? Wie weit ist es vom Veggie-Day zur gesetzlich vorgeschriebenen Ernährungsweise? Ist es eine Gefahr, wenn statt Laisser-Faire nur eine Art Diätdiktatur droht? Skepsis, Wissenschaft, Humor und Ablehnung des Missionarischen durch Ignoranz sind starke Waffen, die auch die Religion entmachtet haben. Dass der Mensch abseits von Ratio zu einer Art Aberglauben neigt, gehört wohl zum Menschen hinzu. Er kann nicht alles Wissen, so liegt es nah sich die Welt im Ganzen so erklären zu können. Besonders wenig gesegnet mit Intelligenz bleibt Angst und Hysterie ein starker Verbündeter von Gläubigen, die doch einfach nur das Weltliche nicht begreifen können.

Für das halbe Prozent deutscher Veganer reichen wenige Sätze zur Einordnung der „Gesundheitskraft rein pflanzlicher Kost“: Wer nicht höllisch aufpasst, der isst sich in einen Mangelzustand – Defizite an Eiweiß, Eisen, Jod, Zink, Kalzium, essenziellen Fettsäuren und B-Vitaminen sind möglich und entsprechende Krankheiten die Folge. Wer keine B12-Vitaminpillen schluckt, dem drohen unheilbare Nervenschäden. Zahlreiche Fachorganisationen warnen davor, Kleinkinder, Säuglinge, Schwangere, Senioren und kranke Menschen vegan zu ernähren.

Ihnen reichen die Veganer nicht? Dann versuchen Sie es mal mit den “Paleos” – die gehen wirklich jedem auf die Nerven.
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2 Comments

  1. mterber says:

    Uns wurde mal in Berlin-Neukölln in einem Paleo-Restaurant Kaninchen serviert. Auf die Rückfrage, wo sie das angebliche Bio-Kaninchen bezogen haben, antwortete der Kellner etwas vorschnell: “Kaufland”

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