Jeder vierte Deutsche ist fettleibig (BMI +30). Daran muß man etwas ändern, wenn unser Land nicht ein Heer von chronisch (alten) Kranken sein soll. Dieser Trend ist in allen Industrieländern der ersten Welt zu beobachten. Dort ist weder Mangel noch die Qualität der Lebensmittel das Problem. Verbunden mit Bewegungsarmut und den Berufsbildern in der Zukunft, in denen körperliche Arbeit immer weniger bedeutsam ist, produzieren wir immer mehr Übergewichtige. Maßgeblichen Anteil daran hat nicht Bewegungsarmut allein (die vor allem Büroarbeit geschuldet ist), sondern billige industrielle Kost. Wie in den USA verlieren auch wir den Kampf um Fettleibigkeit gegen wirtschaftliche Interessen und der Logik des Kapitalismus. Dessen Überlegenheit zu anderen Wirtschaftsformen hat segensreich zunächst überall für Wachstum gesorgt und die Menschen satt gemacht. Niemand hat heute in den entwickelten Ländern auch nur entfernt sowas wie Angst, verhungern zu müssen. Außerdem verspricht die Industrie “Convenience”, also weniger Arbeit in der Küche und schnellere Sättigung. Essen wird so bei einigen Verbrauchern schon sowas wie ein “notwendiges Übel”. Andere sind hysterisch in Ihrer Angst, aus dem ganzen Überfluss das falsche an Nahrung zu wählen und gerade deswegen krank zu werden. Gute Ernährung, so das implizite Versprechen, hält gesund und verlängert das Leben. Die Ängste moderner Gesellschaften sind anderer Natur, Ästhetik wie Gesundheit sind bedeutsamer als Hunger. Trotzdem erscheinen die Verbraucher geradezu wehrlos immer dicker zu werden. Zu süsse, zu fettige und zu salzige Produkte haben gigantische Marktanteile erreicht gegenüber unverarbeiteten Lebensmitteln. Der Trend zu Fertigmahlzeiten und auch Convenienceprodukten in der Gastronomie macht es fast unmöglich, der Industrie auszuweichen. Werden wir also alle zwangsläufig immer dicker und kranker? Was ist da los? Und was kann man dagegen tun?
Einen gehörigen Anteil an der Diskussion haben die Argumente, die unsere politische Landschaft hervorbringt. Bei genauerem Hinsehen sind es eher die Argumente der jeweiligen Lobby, die artikuliert werden. Besonders gängig sind die Argumente der Lebensmittelindustrie. Der eigentliche Mechanismus aber bleibt unberührt, denn der Verbraucher hat sich verführen lassen und ist mittlerweile geradezu gefangen in billigen Lebensmitteln, die ihn krank machen und dennoch unwiderstehlich zu sein scheinen. Unzumutbar und aus der Logik der Politik wäre ja, den Verbrauchern erstmal klar zu machen, dass sie sich selber abhängig haben machen lassen und der Weg in bessere Lebensmittel damit verbunden wäre, sich mehr mit dem Kochen auseinander zu setzen, mehr mit der Produktion und überhaupt mehr Energie mit diesem Thema zu verbinden. Industrielle Lebensmittel sind unschlagbar günstig herzustellen, dabei macht es geradezu alles, um die Vorteile von Skaleneffekten auszuspielen. Geradezu absurd mutet das Produkt dieser Maschinerie an, wenn bspw. Milch zunächst ultrahocherhitzt zu Staub gemacht wird, um dann erneut mit Verdickungsmitteln und Wasser zu Joghurt gemacht zu werden, der dann weniger Fettgehalt hat. Die Nährstoffe wie Mineralien oder Vitamine, die dem Produkt genauso wie dessen ursprünglichem Geschmack verloren gehen, werden nachher künstlich ergänzt. Worin liegt dass Problem des üblich hergestellten Joghurts aus frischer Milch? Zu hoher Fettgehalt? Der Verbraucher beginnt die Suche nach fettarmen Lebensmitteln meist, wenn das Körpergewicht zum Problem geworden ist. Die Lust am Essen geht verloren, der Ausweg zum Gewichtsverlust ist mit Mühen verbunden. Da wird gerne mal auf Geschmack verzichtet, da interessiert einen auch nicht so genauso, wie das Produkt erzeugt worden ist (besser man weiß es gar nicht erst!), denn der Zweck heiligt die Mittel. Besonders ärgerlich ist es, wenn diese Argumente in der Presse zu finden sind und niemand diesen Argumenten widerspricht. Der aktuelle Ernährungsminister Schmidt ist entweder Advokat der Industrie oder aber tatsächlich überzeugt von den scheinbaren Vorteilen einer “Laisser faire” Politik. Es klingt liberal und rational, wenn der Verbraucher die freie Wahl hat und man die Arbeitsplätze, die die Industrie bietet, nicht gefährdet. Denn Profit macht die Industrie garantiert mehr als der klassische Bauer, Metzger, Bäcker oder Konditor, der vielleicht noch konventionelle Methoden benutzt. Aber was ist wichtiger als die Gesundheit des Menschen, sind da nicht Einschränkungen der Freiheitsgrade oder Eingriffe in die Industrie hinzunehmen? Der Mensch ist manchmal überraschend kurzfristig in seinem Denken und überrascht damit, wie er langfristig irrationales Handeln dennoch vollzieht. Ein Beispiel aus einem anderen Lebensbereich war der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf. Obwohl viele Familien durch die Arbeit in Kohlebergwerken erschreckend chronisch krank geworden sind, votierten diese Familien pro Trump, der Ihnen Versprach Kohle wieder in den Markt zu bringen. Die Alternativen, sich in neuen Wirtschaftsfeldern Arbeit zu suchen, die die Gesundheit schont und vielleicht sogar höhere Löhne verspricht, gilt für viele Familien nicht. Denn sie votierten für Ihre bestehenden Arbeitsplätze im Kohlebergbau, wohlwissend dass Ihnen diese Arbeitsplätze eine schlechte Gesundheit versprechen. Das Handeln erscheint alternativlos, vermutlich sind die Alternativen auch tatsächlich für einige Verbraucher nicht zu erreichen, unbekannt oder aus anderen Gründen versperrt. Haben wir es mit der gleichen Alternativlosigkeit zu tun, wenn wir über Ernährung sprechen? Einiges deutet daraufhin, dass auch aufgeklärte Verbraucher nicht immer fähig sind, eine langfristig verträgliche Ernährung zu realisieren. Bewegungsarmut ist nichts, was der Mensch von sich aus ablehnt, faul sein ist doch erstaunlich attraktiv, trotz aller langfristigen Problematiken, die damit einher gehen. Aufgeklärte Verbraucher, die Alternativen erschlossen haben, macht es wütend, wie wenig unsere Eliten in Politik und Wirtschaft Alternativen realisieren oder zumindest versuchen, den Verbrauchern hierbei Alternativen aufzuzeigen.
Bevor wir uns mit einigen Argumenten der Industrie eingehender auseinandersetzen, wäre es aber einen Versuch wert zu ergründen, wie denn die Industrie überhaupt so schnell und so ubiquitär in unsere Haushalte eingedrungen ist. Die Antriebskräfte der Profitmaximierung halfen seit Beginn der industriellen Revolution, Unternehmen zu incentivieren und Innovationen in den Markt zu bringen. Kosteninnovationen für den Verbraucher sind genauso interessant wie längere Haltbarkeit oder Qualitätsverbesserungen in der Küche. Eine Sauce Hollandaise gelang vermutlich vielen Hausfrauen nie, die dankbar waren auf industrielle Produkte auszuweichen. Backpulver half, dass Kuchen öfter gelangen. Und Konserven sind ein Beispiel für verbesserte Haltbarkeit. Dass dieser Siegeszug aber so schnell in die Haushalte einbrach, lag an den großen Weltkriegen des letzten Jahrhunderts. Plötzlich entstand ein gigantischer Bedarf an haltbaren Lebensmitteln für die Truppenversorgung und so fanden die ersten industriell hergestellten Lebensmittel große Absatzmengen. Nach Ende der Kriege waren die Anlagen noch immer vorhanden, um diese Produkte herzustellen, doch sie brauchten neue Absatzmärkte. Die industriellen Lebensmittel versprachen der Hausfrau, Ihr die Arbeit am Herd abzunehmen, Ihre Qualität zu steigern, haltbarer zu ein und am Ende günstiger als selbst hergestellte Speisen. Die innovativen Marktetingideen, diese Versprechen zu verpacken, machten es fast unmöglich, auch geistig noch Alternativen zu entwickeln.
Argument 1: “Gesundes Essen muss über Geschmack den Weg zum Verbraucher finden”
Was logisch und überzeugend klingt, ist heimtückisch falsch argumentiert. Zunächst mal ist grundsätzlich diese Debatte falsch aufgezogen, denn wer kann der liberalen Auffassung vertreten, dass der Verbraucher frei wählen solle? Natürlich ja, nur was passiert, wenn der Verbraucher aufgrund seiner Entscheidungen immer größere gesundheitliche Probleme bekommt? Dies ist offensichtlich der Fall und stellt die Gewichtigkeit dieses Arguments in Frage. Sollte der Staat dann zusehen oder nicht zumindest stärker aufklären, wenn er schon nicht in den Markt eingreift durch Verbote oder Regularien? Der zweite Teil des Arguments bedient das Klischee, dass Verbraucher immer noch im Kopf tragen: Gesunde Nahrung ist weniger appetitlich, gesunde Kost ist nicht lecker. Das geht zurück auf die ein oder andere Ernährungswelle aus Reformhäusern, als “Körnerfresser” begannen Ihre Ernährung als besonders nachhaltig zu preisen. In der Tat ist natürlich nicht alles appetitlich gewesen, was da so an Experimenten aus der Naturkostecke kam. Gigantische Körner im Brot, rohes Gemüse, möglichst unverarbeitete Produkte seien immer gesünder als verarbeitete Lebensmittel. Auch das ist Wohl eine Propaganda, denn gerade Kochtechniken und Esskultur trugen dazu bei, dass Gerichte aromatischer wurden und leckerer. Was lecker ist, ist meist auch bekömmlich, so dass eigentlich wenig Handlungsbedarf entstehen sollte. Heute haben wir es aber mit einer Kultur zu tun, die Kochtechniken als auch Esskultur wieder verliert. Immer weniger Verbraucher können Produkte überhaupt noch “von Grund auf selbst herstellen”, sie sind auf industrielle Vorprodukte angewiesen. Das unverarbeitete Kost gesünder ist, ist also Quatsch, gerade die kunstfertige Verarbeitung (also Kochen) und das gekonnte aufspalten von Nährstoffen durch physikalische Prozesse (Mahlen, Kochen oder Braten) oder biologische Verfahren (Fermentation wie bei Käsen oder durch Sauerteige im Brot) machen Lebensmittel bekömmlicher, enthalten richtig angewandt eventuell sogar noch hochwertigere Nährstoffe als das ursprüngliche, unbehandelte Nahrungsmittel.
Auch enthalten in diesem Satz ist die eigentliche Paradoxie der Aussage zu “gesundem Essen”. Denn auch Vollkornfreunde müssen akzeptieren, dass ein Lebensmittel per se immer gleich gesund ist wie das andere, außer es wird falsch dosiert. Ein Lebensmittel, welches als solches zugelassen wurde, ist per se nach ernährungsphysiologischer Definition immer gesund. Auch industrielle Kost ist per se erstmal genauso verträglich und gesund wie bspw. Gemüserohkost. Weder Blutwerte noch sonstige Parameter können belegen, dass ein Mensch so besser mit Nährstoffen versorgt wird, auch weil der Körper eigentlich gar nicht soviele Nährstoffe braucht, wie wir in den reichen Ländern ihm zuführen. Wir überdosieren geradezu andauernd Vitamine, Spurenelemente und andere wichtige Inhaltsstoffe, der Grundbedarf an Proteinen, Kohlehydraten und Fetten ist aber ganz einfach zu decken – dazu reicht quasi schon Trockenbrot. Die gesundheitlichen Folgen bestimmter Kost aber, und hier finden wir wieder den Weg zu Anwälten ursprünglicherer Kost, sind aber meist nicht unmittelbar, sondern dann gegeben, wenn sie einseitig stattfindet und generell zu salzig oder zu fett oder zu süss ist. Diese Stoffe setzt die Industrie mit künstlichen Aromen oder Haltbartkeitsmitteln ein, um den Verbraucher zu überzeugen und ihm die Arbeit der Zubereitung abzunehmen. Industrielle Nahrung ist tatsächlich nachweisbar zu fett, zu süss und zu salzig. Also, vom Argument bleibt eigentlich nur, dass Essen den Weg zum Verbraucher über den Geschmack finden soll. Das argumentiert eher pro Industrie, denn bestimmte Lebensmittel sind erst nach der Verarbeitung gesund und lecker. Und gerade diese Arbeit will die Industrie uns abnehmen. Eigentlich ganz gut gemeint, wäre das Ergebnis nur nicht so bescheiden und auf Dauer tatsächlich ungesund. Es geht um die Folgen von zu süßer, zu fettiger und salziger Kost, die tatsächlich zu chronischen Erkrankungen führen kann und zwar mit ähnlicher hoher Wahrscheinlichkeit wie Rauchen zu gesundheitlichen Folgen führt.
Argument 2: “Die Befreiung der Hausfrau vom Herd!”
Alternative Fremdversorgung wie der Gang ins Restaurant befreit den Verbraucher. Auch helfen industrielle Produkte Verbrauchern dabei, weniger Zeit beim Kochen zu investieren. Dieses Argument wird verbunden mit der angeblichen Ermöglichung der neuen Rolle der Frau in der Gesellschaft. Durch die Befreiung vom Herd mit Hilfe der Industrie ist die Frau in der Lage, sich auch persönlich zu entwickeln oder sich selber zu verwirklichen. Diese Argumente sind gewichtig und nicht ganz von der Hand zu weisen, doch es ist wichtig zu wissen, welchen Preis man zahlt, wenn man nicht nur Prozesse auslagert, sondern deren Qualität gezielt auf Effizienz und Kosten getrimmt wird, bis am Ende nicht bessere, sondern schlechtere Lebensmittel entstehen. Dabei ist gar ein Prägungseffekt zu beobachten: Künstliche Geschmacksverstärker machen Produkte so intensiv, dass das Fehlen ebensolcher Verstärker beim Verbraucher dazu führt, dass dieser ein geschmacklich schlechtes Produkt erkennt. Klassischer Effekt in der Küche ist das Versalzen: Der ambitionierte Koch ärgert sich, denn zuviel Salz übertönt alle anderen Aromas und macht die Speise somit eindimensional. Der von der Industrie “geschulte” Verbraucher, der versalzene Produkte gewohnt ist, ist nicht überrascht von der Aromenvielfalt wenn weniger gesalzen wird. Er vermisst zunächst schlicht das Salz, es dauert nachweislich sehr lange, bis sich die Geschmacksknospen wieder so entwickelt haben, dass sie andere Aromen auch schmecken können. Zum Leidwesen vieler Köche, die noch das echte Handwerk beherrschen, erleben die Verbraucher das auch nicht nicht in unseren Restaurants, denn auch dort regieren bei unserem von der Industrie ermöglichten niedrigen Preisniveau längst Convenience Produkte. “Gesund Kochen”, wie es Fernsehköche dann demonstrieren, funktioniert bei unserem Preisniveau in Restaurants mit “echten Lebensmitteln” mittlerweile fast nur noch bei totaler Selbstausbeutung von Köchen. Letzteres kann keiner ernsthaft von angestellten Köchen verlangen. Außerdem beleidigt das Argument die Leidenschaft vieler Hobbyköche, denn nicht jeder empfindet Kochen als eine Zumutung oder Belastung, für einige ist es ein sinnliches, kreatives und genußvolles Erlebnis, mit dem sie gerne ihre freie Zeit füllen. Spannend wäre es zu wissen, wieviele Hobbyköche aber aus mangel an Alternativen zu Köchen geworden sind, weil sie in gewisser Weise keine Wahl haben und nur so an hochwertige Gerichte kommen.
Argument 3: “Der bessere Geschmack setzt sich durch”
Eine Lüge, wie wir wissen. Denn auch die Zunge ist konditionierbar. Wie sich das Gehirn anpasst, wenn es kaum gefordert wird, reagiert auch die Zunge darauf, wenn Lebensmittel grundsätzlich geschmacksverstärkt werden. Nämlich in der Form, dass sie dies als das übliche Niveau erkennt und sich merkt. Wenn also Speisen mit normalen Salz, Fett oder Zuckergehalt verzehrt werden, entsteht ein Mangel an Genußerlebnis, was wiederum dazu führt, zuviel vom Falschen zu essen. Ein Teufelskreis, aus dem es außer kaltem Entzug kein Entrinnen gibt. Das Argument sticht dennoch, weil es den Egoismus und die Individualität des Verbrauchers preist und liberal daherkommt. Keine Verbote, keine Regularien, sondern Freiheit des Verbrauchers! So wird indirekt unterstellt, dass der freie Markt und die freie Verbraucherwahl quasi wie ein Naturgesetz zu einem besseren Ergebnis führt. Der Verbraucher würde auf Dauer also quasi als Homo oeconomicus sein Genußerlebnis maximieren wollen und immer leckerere Lebensmittel zu immer günstigeren Preisen bevorzugen. Merkwürdig, dass kein Verbraucher in den Supermärkten dass bei Tomaten bestätigen würde. Dort hat sich die schwere Wassertomate, die optisch makellos ist und doch nach nichts schmeckt, offensichtlich durchgesetzt. Wenn wir aber sehen, welche Produkte in Supermärkten Gewinner sind, scheinen andere Mechanismen zu herrschen. Kartoffelchips sind generell zu fett und überwürzt. Der Verbraucher akzeptiert auch kaum andere Chips, die weniger intensiv unterwegs sind. Innovationen wie Gemüsechips ohne Aromata oder Überwürzung verschwinden schnell wieder vom Markt. Der Verbraucher fliegt geradezu auf das überwürzte und fettige Produkt, weil es ihn gierig und heißhungrig macht. Wenn wir einen metaphorischen Vergleich unterstellen, sind die Verbraucher auf Aromapornos gedrillt. Sie bevorzugen das Bordell vor echter Liebe, welche weniger offensiv, eleganter und dauerhaft verträglicher daherkommt. Der Verbraucher kennt nur den “schnellen Sex” bei Kartoffelchips, nach einer bestimmten Anfixzeit ist er umerzogen worden und kann sich kaum erinnern, wie es ohne schnelle Befriedigung erträglich ist, durch den Supermarkt zu gehen. Schlechte Lebensmittel (also zu süß, zu fettig) sind unwiderstehlich und prägen das Geschmacksempfinden nachhaltig. Die Industrie weiß das und bedient diese Nachfrage. Welcher Geschäftsführer einer Kartoffelchipfirma könnte im Wettbewerb um Umsatz und Margen da vertreten, einer wenig “heißes” Produkt zu verkaufen? Der Verbraucher dankt es ihm, dass zeigt uns das Angebot in unseren Supermärkten, nicht. Gut zu beobachten ist diese “Gier” bei Menschen mit schwach ausgeprägter Impulskontrolle: Kindern. Sie wählen noch zuverlässiger das Produkt mit dem höchsten Energiegehalt, zu süß und gerne zu fettig. Wer dann “echtes Essen” bekommt, bei dem diese Komponenten reduzierter eingesetzt werden, mit natürlicher Aromatik und nicht so hoher Energiedichte, vermisst etwas und greift wider besseren Wissens zum fetten Essen. Und jedes Kind formuliert diese Ablehnung ganz einfach: “Das schmeckt mir nicht”
Argument 4: “Transparenz und Aufklärung hilft”
Ja, der kluge Verbraucher wird so klüger. Was aber, wenn der Verbraucher Analphabet ist und noch nicht mal die Grundregeln gesunder Ernährung versteht? Unsere Schulen produzieren immer noch Ernährungsanalphabeten, geschweige denn dass man sie zu passablen Amateurköchen macht. Nur kluge Autodidakten sind in der Lage, auf Dauer einen Weg durch den Dschungel zu finden, die Propaganda der Industrie zu erkennen und Techniken zu lernen, die ihnen keine Schule vermittelt. Der Siebeffekt ist leider beachtlich, so dass es zwar ein paar wenige Kluge und Aufgeklärte gibt, die nur den Kopf schütteln wenn sie das Verhalten der Masse beobachten. Die Masse aber selber ist nicht haftbar zu machen, denn der Weg aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit ist für weniger kluge Menschen oder aber Menschen mit geringen Ressourcen (Zeit, Geld) besonders beschwerlich. Der Würgegriff der Industrie wird also durch Transparenz kaum gebrochen, aber er ist wichtig. Die Industrie hat wirklich viel getan, um dem Kampf um Transparenz erfolgreich zu begegnen. Produkthinweise sind auf Packungen nicht nur derart klein, sondern auch vollkommen unverständlich. Bei bestimmten Inhaltsstoffen hat die Industrie erreicht, dass ein Oberbegriff wie “Aroma” ausreichen muss, ohne dass der Verbraucher weiß, was damit gemeint ist und vor allem, welche Folge dies für ihn hat. Viele Verbraucher wissen mittlerweile, dass Nikotin in Zigaretten süchtig macht und das Verbrennen von Tabak giftige Gase freisetzt, die zu schweren Erkrankungen führen. Deswegen können sich viele Verbraucher mittlerweile “am Riemen” reißen, wenn sie Zigaretten sehen, denn die Folgen sind für sie schwer zu verdrängen. Eher harmlos kommt für sie der Kartoffelchip daher, die Gefahr ist nicht so hoch für den Verbraucher. Wenn aber die Verpackung erkennen ließe: “Achtung, der Einsatz des Aromas xyz führt zur starker Abhängigkeit von einem zu fetten Lebensmittel, was sie sehr wahrscheinlich chronisch krank machen wird”, vielleicht wäre die Chose bei dem ein oder anderen Verbraucher anders. Die Ampel ist da eine kleine Verschlimmbesserung: Auch wenn sie zunächst einfach verständlich ist, wirft sie viel in den Topf und hält den Verbraucher dumm auf niedrigem Niveau. Die Ampel hilft wenig, sie klärt nur vordergründig auf, doch die Alternative bleibt dem Konsumenten unklar und der Kampf mit den eigenen Süchten nach schneller Sättigung führt nur zur bewussteren Sündigung. Was passiert bspw. mit einem per se nicht ungesunden Lebensmittel wie Butter? Wird das die rote Ampelleuchte bekommen? Ich fände das bedauerlich, sagen wir mal wenn die Mutter ihrem Kind den Pastinakenbrei durch Butter schmackhaft macht, wäre Kind wie Mutter gedient. Wenn die Mutter aber stattdessen die Butter weglässt, die Pastinake vom Kind verweigert wird und stattdessen ein “gelbes” Trockenpulver mit Wasser versetzt wird, dessen bunt-schreiende Verpackung mit Comiccharakteren dann gewinnt, wäre das besser? Wäre Fett allgemein “Rot”, obwohl es doch ungesättigte Fettsäuren oder die oft beworbenen Omega3 Fettsäuren ein so wichtiges Kriterium für gesundere Ernährung sind? Die Ampel wird sicher missbraucht, falsch interpretiert und ist auch keine Lösung. Und selbst wenn dafür eine Weg gefunden wird, ist der Mechanismus immer noch verführerisch, denn dann stehen halt auf allen Kartoffelchiptüten rote Ampeln. Na und, wer dauerhaft sündigt, reagiert (siehe Zigaretten) mit selektiver Wahrnehmung: die Folgen werden irgendwann bewusst ausgeblendet. So what!
Argument 5: “Industrielle Nahrungsmittel sind günstiger und somit sozialer!”
Natürlich helfen industrielle Verfahren dabei, Lebensmittel günstiger herzustellen. Das wäre also ja nichts, was zu verurteilen wäre. Wie kommt es aber, dass die Industrie all Ihr Know How aus Chemie, Biologie und Physik dazu benutzt, die Natur oder die Produkte jahrhunderteralter Züchtigung schlecht zu imitieren? Naja, manchmal ist es zu einfach, aber sicher ist es in unserem Wirtschaftssystem ein großer Incentive, wenn man Lebensmittel so deutlich günstiger machen kann. Die Industrie im Wettbewerb sucht immer nach kostengünstigen Substituten zu echten Lebensmitteln und reduziert mit der gleichen Logik die Artenvielfalt bei Gemüsen wie Tieren bewusst, um preislich attraktiver zu werden. Das Hybridgemüse, dass größer wird und seltener krank, gewinnt immer, auch wenn die alte Tomatensorte noch so aromatisch war. Diese Logik liegt im freien Markt, den man regulieren muss, genauso wie es im Gesundheitswesen gang und gäbe ist. Wer Volksgesundheit aber im BIP misst, sieht ja erstmal Erfolge: Mehr Ausgaben für Krankenversorgung und mehr Umsatz für die exportierende Industrie steigert das BIP dann, wenn eine nicht wachsende Bevölkerung fetter und kränker wird? Das Argument ist also richtig, aber es wird in der falschen Umwelt angewendet. Unser Problem ist Überernährung und einseitige Ernährung, die Lebensmitteln neben einen immer geringeren Anteil am Haushaltseinkommen ein. Was in den Wirtschaftswunderjahren nach langer Zeit der Entbehrung ein Segen war, ist heute ein Fluch. Eine Verteuerung würde eigentlich sogar fast automatisch dazu führen, dass wir weniger vom falschen essen oder schlicht nicht zuviel. Denn Mechanismus zu vergrößern, erscheint nicht notwendig, außer wir bewegen uns in armen Ländern, in denen der Zugang zu Lebensmitteln ein großes Problem darstellt. An diesem Punkt erkennen wir wieder, welches Problem industrielle Lebensmittel dann verursachen, wenn sie auch noch in die armen Ländern exportiert werden, wo die Argrarökonomoe und die Lebensmittelindustrie weitaus weniger effizient sind. Sie wird schnell verdrängt und die Verfahren der “Sieger am Markt” setzen sich überall durch. Brauchen wir also noch mehr davon oder brauchen wir in den entwickelten Ländern nicht eine andere Kur?
Argument 6: “Gutes Essen kostet mehr”
Dieses Argument ist zu stark vereinfachend und ebenso populistisch. Nicht zwingend ist gutes Essen teurer, aber um gutes Essen zu kochen braucht es hohe Kochfertigkeit, die man in Industrieländern meist nur autodidaktisch lernt. Dazu braucht es aber erstmal freie Zeit, um das überhaupt zu lernen. Alleine der Einkauf hochwertiger Lebensmittel ist immer aufwendiger und zeitintensiver als der Gang zum nächsten Supermarkt. Das Kochen mit Convenienceprodukten bedeutet lediglich, der Verbraucher will mal mehr, mal weniger Anteil an der “Wertschöpfungskette” nehmen. Aber ein Kochen mit modifizierten Ausgangsprodukten führt selten bis nie zu einem Ergebnis, wie man es mit “echten Produkten” erreichen könnte.
Argument 7: “Convenience ist clever und den Rest macht der Thermomix!”
Wenn in Familien beide Partner arbeiten, wird Convenience eine Notwendigkeit mit wenig Alternativen. Dass aber auch die Anschaffung eines Thermomix denn wissenden und erfahren Koch ersetzt, ist falsch. Wer meint sein Brei sei nur deswegen lecker, weil man drei Knöpfe drückt, irrt. Auch raffinierte Geräte können nur unterstützen, an der Problematik der Überernährung durch falsche Ausgangsprodukte ändern sie gar nichts.
Argument 8: “Die freiwillige Selbstverpflichtung der Industrie ist besser!”
Besser für wen, könnte man fragen. Die freiwillige Selbstverpflichtung ist nicht besser, weil sie nachgewiesener Maßen dort nie funktioniert, wo wirtschaftliche Interessen der Marktteilnehmer letztlich ausgeglichen werden müssen gegenüber Kosten, die in der Gleichung nicht direkt auftauchen. Selbst die Konsumenten können die Kosten schlechter Ernährung nicht beziffern, sonst würde der Preis schlechter Lebensmitteln anders beziffert werden können. Die wirtschaftlichen Motive sind immer stärker bei Unternehmen als die Ethik (siehe bspw. Dieselskandal). Darauf zu vertrauen ist naiv bis bewusst fahrlässig, weil Arbeitsplätze bei Wahlen immer gewinnen gegenüber individuell wahrgenommener und verschuldeter Gesundheit.
Der Grundansatz für den Erfolg der Industrie in den Haushslten ist immer gleich: weniger Arbeit für die Hausfrauen und Männer, weniger Kochen, mehr Zeit, mehr Komfort zum günstigen Preis. Das ist ein kaum zu stechendes Siegerkonzept. Die Vorteile leckerer guter Kost sind langfristig- für Menschen in gefühlter Dauerzeitnot also zweitrangig. Da die Fähigkeit zum Kochen und die Zeit dafür beständig weiter abnimmt, können immer weniger Verbraucher “echt lecker” kochen. Ich kenne selbst kaum noch Akademiker (-innen), die sich nicht vom Herd befreit haben und geradezu hilflos sind, wenn die Industrie ihnen nicht die Hand führt. Und die Zeit dazu fehlt den Leuten auch, den andere Pflichten wie Interessen konkurrieren um das gleiche Zeitkontingent. Wer kann verlangen, dass alle in Ihrer Freizeit Amateurkoch sein wollen? Kochen wird, das sehe ich ganz nüchtern, ein Hobby für eine Minderheit bleiben. Auch immer mehr Kochshows und Youtube Videos ändern nichts daran, dass immer weniger gekocht wird und vielleicht sogar immer schlechter. Kurz, nicht eine Initiative der Regierung wie auch der beschämenden Ampel-Opposition wird helfen, den BMI in seinen rasanten Wachstum zu bremsen. Die Ignoranz und Ablehnung Dicker in der Gesellschaft wächst dagegen massiv. Wer dünn ist ist diszipliniert und erfolgreicher. Die Verlierer ziehen sich aus dem Diskurs zurück, die Gesellschaft verliert so mehr und mehr den Zusammenhalt.
Kein gutes Zeichen finde ich , wenn soziale Differenzierung und Abgrenzung über Nahrung wieder möglich wird. Einige tappen zu hilflos in die Ernährungsfalle. Da fragt man sich: Wo ist der Fortschritt der modernen Gesellschaft, wenn der Mensch durch Überernährung nun nach vielen Jahrzehnten der ausreichenden Versorgung wieder kränker wird? Die einzige Lösung ist der Weg in die Katastrophe wie es scheint. Erst dann werden wir verstehen, dass “Lebensmittel” unser Leben bedeuten. Und wenn wir die nicht wichtiger nehmen, wir zwangsläufig alle ins Verderben rennen. Die Verbraucher sehen Ihr Verhalten oft ein, erscheinen aber hilflos darin sich zu verändern. Das ist auch nur zu verständlich: Je größer der Profit aus industrieller Lebensmittelverarbeitung, desto mehr wird investiert in Distribution und Logistik. Nichts ist einfacher als schlechte Produkte überall zu bekommen. Hochwertige Lebensmittel direkt vom Produzenten zu holen ist oft sehr aufwendig. Innovationen wie “Food Assembly” oder “Marktschwärmer”, bei denen eine intelligente Logik den Weg vom Produzenten zum Verbraucher verkürzt, sind nahezu unbekannt. Die großen 4 Handelsketten in Deutschland sind dominiert von der Lebensmittelindustrie und fahren gut damit. Ihre Beschwörungen, lokaler einzukaufen oder bessere Lebensmittel zu vertreiben sind oft halbgare Versprechen. Auch sie halten sich daran, was sich schneller verkaufen lässt. Wer intensiv selbst kocht und anspruchsvoll ist, merkt wie mittelmäßig die Qualität in deutschen Supermärkten ist und nach einiger Zeit fällt auf, dass immer weniger Grundprodukte in immer mehr Variationen angeboten werden. Das eigentliche Angebot wird also nur gefühlt vergrößert, in Wahrheit schwindet es immer mehr. Nur eins ist sicher: Die Deutschen werden weiter dicker.