Kaufentscheidungen zu treffen ist nicht einfach. Aber schön, wenn man überhaupt was kaufen kann! Die Waschmaschine. Den Kühlschrank. Die iWatch. Den Smart Garden. Aber online oder beim Fachhändler? Die Kopfschmerzen beginnen dann, wenn Freunde rufen “Support your local dealer!”, also den Kauf in der unmittelbaren Nachbarschaft. Das genaue Motiv dahinter ist nicht immer sofort eindeutig, ich selbst habe aber dies nun 2x hintereinander getan und bin damit wunderbar auf die Fresse geflogen. Zeit nachzudenken, ob dieses regionale Einkaufen nicht totaler Käse ist.
Beim Fachhändler zu kaufen, das macht ja eigentlich total Sinn. Ein echter Experte, der Bedürfnisse und Angebot miteinander abgleicht und seine Empfehlungen ausspricht. In der Nachbarschaft wohnend hat er Interesse an einer langfristigen Bindung und empfiehlt doch sicher das Richtige! Statt stundenlang zu surfen, zu recherchieren und zu fragen, ob die Bewertungen bei Amazon nicht mal wieder gekauft sind oder gar einen Betrug bei eBay zu erleiden, könnte man doch echt enorm Zeit sparen. Das wäre ja etwas wert.
Für die reine Beratung Geld zu nehmen und das Produkt so günstig wie möglich zu kaufen, das traut sich der Handel aber mit klitzekleinen Ausnahmen noch nicht. Stattdessen geht es am Ende immer ums liebe Geld, hauptsache Kunde kauft jetzt! Und da stehen wirtschaftlich nicht selten die hohe Miete für den Fachhändler gegen ein riesiger Lager im Nirgendwo eines Internetversenders. Was gut ist, empfiehlt dann Stiftung Warentest, 1,50€ der Test. Und die Mengen schafft der kleine Fachhändler für günstige Preise sowieso nicht, oder? Also heißt beim regionalen Fachhändler kaufen ja per se schon mal (rein ökonomisch) draufzahlen. Warum sollte es das aber wert sein?
Das Motiv der Einen lautet, dass man im Kapitalismus mal die Bremse treten muss. Nicht immer mehr, immer geiler für weniger. Mimetisch bringt der Seele Schäden! Keinen Mumpitz, kein „Chinaschrott“, sondern “die guten Dinge”, die halten und wertbeständig Ihren treuen Dienst leisten. Einmal eine gute Heckenschere statt 4x beim Discounter. Und dem Nachbarn den Arbeitsplatz sichern, wer will selber schon nach Shanghai ziehen? Die eigene Arbeit eventuell schon, also bleibt die Kaufentscheidung für den kleinen Händler um die Ecke doch ein Ehrendienst. Und kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, oder?
Da ist etwas auf den Kopf gestellt, weswegen das ganze problematisch sein kann. Dem Verkäufer einen Grund zu liefern aus einer ideologischen Überzeugung heraus bedeutet erstmal, dass er ohne ein Zutun ein Sternchen extra bekommt. Und das hat er sich ja per se nur dadurch verdient, dass er mein Nachbar ist. Damit bin ich ja eigentlich schon mal dem Internetversender in Buxtehude mit seiner Zulieferfabrik in Shenzen böse gesonnen, denn der will es für mich ja noch billiger machen und attackiert mich mit Cookies, Facebook und AdWords Kampagnen. Er will was verkaufen und bietet dafür einen guten Grund.
Der andere, unser Nachbar, hat den Kaufgrund schon ersessen und in Punkten Verhandlungsasymmetrie, wie der Ökonom es nennt, hat der kleine Fachhändler ein plus ohne echten Fleiß erzielt. Außerdem festigt man damit aber eine etablierte Struktur, der kleine Laden um die Ecke heißt ja auch, dass die Welt sich langsamer drehen soll und wir alle noch Innenstädte haben wollen, die schön sind. Spätestens da schlucke ich: Seit Jahren deklarieren wir die Aufenthaltsqualität unserer Innenstädte an dem Angebot von Konsumoptionen. Kaufen als Lebensqualität? Konsum statt Lebensfreude? Nicht wie die Stadtplaner sich das wünschen: das belebte Gespräch am Marktbrunnen zweier Menschen mit Blick auf spielende Kinder und ruhende Senioren. Nein, eine gefüllte Shoppingmeile ist da noch mehr Lebensqualität für die meisten Bauinvestoren dieser Denke, die suchen Ihre eigentliche Lebenszeit vor Glotze, Garten und Grill zu verbringen. Früher war das Argument noch anders, als es keinen Internetversand gab: Wenn da der Fachhändler für Fischereibedarf den Laden dicht machte, dann mußte man für die Angelrute in Zukunft vielleicht 100 km weit fahren. Der neue Händler hatte aber dann die Nachfrage einer großen Region und machte eventuell deutlich besseres Angebot und auch bessere Preise. Was also für den täglichen Konsum eine Bürde ist, ist für langfristige Anschaffungen doch eigentlich dann keine, sondern eine echte Verbesserung. Und das Internet hat es eigentlich fast schon obsolet gemacht, nur dass das Versenden von Waren zur Probe ein ziemliches Übel ist, nicht nur ökonomisch, sondern natürlich auch ökologisch. Und da wir viel probieren, geht absurd viel Ware ohne Kaufgrund über die Autobahn.
Meine eigene Entscheidung für den lokalen Händler war übrigens das Umzugsunternehmen in der Nachbarschaft und die neue Waschmaschine vom Händler um die Ecke. Ich will gar nicht in die Details gehen, aber ich habe mir da zwei Anbieter rausgesucht, die auch genau damit argumentierten, lokal zu sein. Die anderen Anbieter würden nur Billiglöhner beschäftigen und seien unseriös. So der O-Ton und ich hörte dann noch auf eine Empfehlung, die leider keine Gute war. Am Ende bekam ich einen sehr teuren Umzug mit vielen Leistungsmängeln, dort trotz Lokal beschäftigten Billiglöhnern aus Marokko und Osteuropa und natürlich eine Waschmaschine, die defekt war. Als die Waschmaschine vom Händler um die Ecke abgeholt werden sollte, fühlte der sich nicht mal zuständig, dass sei Sache des Kundendienstes im 300 km weiter entfernten Gütersloh. Die aber sagten, so ein eindeutiger Mangel wie meiner (Öl in der Waschtrommel, vermutlich Produktionsreste) sei unbedingt vom ausliefernden Händler zu prüfen und dort zu reklamieren. Im Ergebnis war es ein einziges Ärgernis und die Frage war für mich also, ob ich mich nicht mit diesem moralisch-idelogischen Argument des regionalen Kaufens selbst betrogen hatte. Ich denke, ich tat es hier ganz sicher, denn warum um Himmels willen soll mir der örtliche Unternehmer lieber sein als der Unternehmer in 300 km Entfernung? Warum ist es meine Aufgabe für gute Löhne zu Sorgen, wenn das doch Arbeitnehmer und Arbeitgeber aushandeln? Und wenn ich mich für den Osteuropäer entscheide, hat der in einer globalen Welt nicht mindestens genausoviel Recht auf Lohn und Brot wie der Vater, dessen Kinder in die Nachbarschaftsschule gehen? Leben wir nicht mindestens schon in der EU? Vor zweihundert Jahren, als der Nationalstaat die Antwort war und kulturelle Kämpfe auch im Kriege ausgetragen wurden, da schien noch das Denken in einer kulturellen Gemeinschaft dazu sinnvoll zu führen, dass man nicht global, sondern nationalistisch-regional denken mußte. Heute sollte man aber bitte schön etwas größer denken und das Interessensgeflecht der Welt, so komplex es auch sein mag, würdigen zu wissen. Ein Fachhändler, der soll natürlich für sein Wissen belohnt werden. Wie wäre es denn, wen er tatsächlich sein Geld mit Beratung verdient so wie die Stiftung Warentest das für mich tut? Er soll nicht durch Provisionen gesteuert sein und mir über Bedarf etwas verkaufen, sondern das, was ich benötige. Auch möchte ich sehr gerne die Welt retten, aber bitte die ganze, nicht nur die Nachbarschaft.
Ein wenig anders sehe ich es, wenn es um Lebensmittel geht. Auch da würde ich niemals so strikt sagen, dass ich nur regional kaufen soll. Dann gäbe es für mich sicher keinen Pfeffer und kein Olivenöl und Handel ist per se nicht nur wohlstands- sondern auch nach politischer Erfahrung friedensstiftend. Wir handeln, damit wir mehr zusammen haben und jeder das, was er braucht. Das, was selten und schwer zu beschaffen ist oder sehr schwer herzustellen, das ist natürlich teurer. Und was im Überfluß in dem einen Ort vorhanden ist und anderswo nicht, kann auch günstig abgegeben werden, was sonst unbezahlbar wäre. Ein schönes ökonomisches Argument, dass politisch begleitet ist. Doch das ökologische Argument ist dann auch zu beachten: Wenn Bananen im Überlfluß vorhanden sind und per Schiff oder Flugzeug hierhin kommen, dann ist der Preis der Umweltzerstörung und Verschmutzung nicht fair eingepreist. Bananen dürften wir hier nicht anbauen in unseren Gefilden mit Erfolg, aber wir haben auch ein Massenangebot und Monokulturen in Ländern wie Costa Rica, Pananama, etc. geschaffen. Die Umweltbilanz kostet uns dabei nichts, also kommen wir hier zu einem echten Problem. Wenn wir die Welt auch ökologisch retten wollen, dann ist bewußter Konsum wichtig und der Verzehr regionaler Produkte auch gut für die Umweltbilanz. Zumindest theoretisch. Prüfen müssen wir dass dennoch, denn ein hier angebauter Apfel klingt erstmal ökologisch. Wenn dafür aber in Unmengen Wasser, Pestizide und sonstige Ressourcen verbraucht werden, sie aber dank besseren Klimas am Bodensee üppig und fett vom Boden zu lesen sind, dann ist es eventuell wirklich ökologischer, sie in den Lastwagen zu packen und zu uns zu schicken. Das ist allerdings enorm komplex und wenn wir uns nicht überlegen, wie wir das besser messbar machen wollen (schwierig dürfte es eigentlich nicht sein, wenn alle Welt von KI redet – Computerleistung haben wir doch satt und genug!), dann können wir vom jedem Konsumenten nicht verlangen, die richtige Entscheidung zu treffen. Dafür brauchen wir eine echte Bilanzierung der möglichen Folgen unserer Entscheidung. Die Umwelt einzupreisen ist dabei die wichtigste Aufgabe für die nächsten Jahre. Und wir können zwischendurch auch von den Moralisten nicht verlangen, uns mitunter ideologisch strikt einreden zu wollen, sie wüßten das regional immer und überall besser sei. So einfach ist die Welt nämlich sicher nicht. Und die Welt ist nicht nur unsere.
P.S. Die ökonomischen Argumente sind nur gültig bei funktionierendem Wettbewerb online wie offline. Das ist bei der Vormachtstellung von Amazon, Facebook und Google online nicht mehr gegeben.