408 PS. Ein Wahnsinn von Pkw, der mir gehörte. Und jetzt habe ich abgespeckt, auf 1 PS. Die 408 PS sind verkauft, ich nehme jetzt mit einem Elektro PS vorlieb, eingebaut in einem Lastenrad. Ist das erst recht Wahnsinn? Irgendwas ist passiert, vermutlich vor allem in mir selbst. Geplant war das nicht, aber es kam so, als Ergebnis der Umstände. Es ist kein Öko-Märchen. Es ist auch kein Drama, gar der Ökotyrannei oder des sozialen Abstiegs. Es ist kein Unfall und es war kein Plan, keine spinnerte Hipster Idee (obwohl es in Köln-Ehrenfeld, wo wir wohnen, zum Hipster oft nicht weit ist). Es ist einfach so passiert. Das Ganze ist am Ende ein Symbol der Veränderung. Und die hat vor allem bei mir selbst stattgefunden. Kurz: Ich habe mein Auto verkauft. Und ich kaufe kein Neues. Ich brauche auch kein Auto mehr, nicht in dieser Form. Stattdessen gehöre ich jetzt zu denjenigen, über die sich Autofahrer gerne aufregen. Der Perspektivenwechsel dauerte nicht lange, Nachsicht ist nicht meine Stärke.
Ich fahre jetzt Lastenrad. Elektrisch, soviel Luxus muß sein, denn ein Lastenrad wiegt so einiges. Und nur so bin ich immer vorne mit dabei, eigentlich immer der Schnellste. Ich bringe meine Kinder zum Kindergarten, ich fahre damit einkaufen (auch Großeinkauf ist drin). Ich fahre ins Büro, ich fahre einfach so mal rum, in den Park, aufs Land. Meist mit Kindern. Aber auch ohne macht es mir unheimlich Freude. Und es ist doch eine Geschichte einer Befreiung. Es ist, ziemlich sicher, die Befreiung einer finanziellen Belastung ersten Ranges. Das rechnet keiner genau aus, aver es ist immens. Und es ist gleichzeitig wie das Ende einer Liebe, wenn ich das sagen darf, denn meine Zuneigung zum Auto war sicher eine irrationale Passion. Wie irrational diese Zuneigung war, wie teuer sie zudem war und was das eigentlich über unsere Gesellschaft aussagt, die sich über das Auto vielleicht definiert wie keine andere auf dieser Welt, das ist mir eigentlich mehr während dieser Veränderung aufgefallen und ich muß sagen: Wir alle, pardon, wir Autonation, wir haben sie nicht mehr alle. Zumindest ziemlich viele von uns. Warum, das erklärt vielleicht dieser Artikel.
Die Geschichte beginnt am Kölner Ehrenfeldgürtel. Er ist das Sinnbild des Autoverkehrs in Deutschland. Denn meistens zeigt er vor allem eines, den Stau des Autoverkehrs in einer kilometerlangen Blechlawine. Morgens zwischen 8 und 9 steht man gefühlt mehr rum als alles andere. Für mich gab es aber nur diesen Weg, ich mußte da lang, um unsere Tochter zur Tagesmutter bis nach Braunsfeld zu fahren. Ein Klacks, keine 4 km sind das. Aber länger als es dauerte, nervte es einfach immer mehr. Ich stand da nicht mit irgendeinem Blechhaufen im Stau, ich stand da mit 409 PS rum. Einem Mercedes CLS 500 Shooting Brake 4 Matic in AMG Line mit der recht auffälligen Farbe “Designo Manganitgrau Magno”, einem matten Lack mit Glanz von Champagner im Kristallglas, so machte man mir die Farbe mal schmackhaft. Ein Geschoss auf Rädern. Und für einen Kombi war es schon fast skulptural schön, Autos haben eine besondere Wirkung, mit Sicherheit auf Männer, wie ich es jetzt an meinem kleinen Sohn beobachten kann. Dennoch war all dass hier keine mobile Skulptur, es stand rum, produzierte Abgas und fühlte sich an wie ein eingesperrter Gorilla, der nicht aus seinem Käfig konnte. Wer selbst unter Zeitdruck den morgendlichen Weg zur Arbeit bewältigen muss, weiß, wie unangenehm stressig es sein kann. Der Streß mancher Pendler, die in die Stadt täglich einpendeln, sei in etwa vergleichbar mit dem eines Kampfjetpiloten im Einsatz, las ich irgendwo mal. Als ich da also eingesperrt saß, auf meinem Sitz mit Massagefunktion thronend, überholte mich rechts ein Fahrrad. In Ehrenfeld waren Lastenräder immer häufiger zu sehen, das war kein Wunder. Und als gebürtiger Münsterländer ist man dem Rad eher eng verbunden, was über kurz oder lang zu Probefahrten führte. Meine Tochter saß während der Probefahrt vorn und jubilierte vor Freude, diese Art des Fahrradfahrens zu erleben machte unheimlichen Spaß. Ich begann also mich selbst zu fragen, ob man eine derartige Anschaffung also begründen könnte und es taten sich viele gute Argumente auf: Das erste war die Befreiung, nicht mehr im Stau zu stehen. Die kontinuierliche Radelei würde ich zudem gesundheitlich positiv auswirken, davon war auszugehen. Den Stress zu reduzieren könnte sich auch nur angenehm bemerkbar machen. Und neben dem offensichtlichen ökologischen Argument, die Stadtluft wirksam zu entlasten, kommt das ökonomische Argument hinzu: Die Kosten des laufenden Betriebs sind im Vergleich zum Pkw quasi nicht existent. Und die Zeitökonomie stellt sich nochmal besser dar, wenn man die gesparte Zeit im Fitnessstudio hinzuaddiert. An der frischen Luft zu sein, naja, das lässt sich vielleicht nicht ganz so aufblähen als Argument, denn wie auch der Pkw-Fahrer ist man dem ganzen Feinstaub natürlich voll ausgeliefert. Und dann noch der Spaß, den man selbst und die Kinder dabei haben, es war wirklich leicht sich die Investition zu begründen.
In den nächsten Monaten löste das Rad allerhand Aufmerksamkeit aus. Die Freunde meiner Kinder waren begeistert und wollten immer mitfahren. Wenn 2 Kinder vorne nebeneinander sitzen und vor Freude jubilieren und jauchzen vor Spaß, dann hat man als Fahrer gleich auch ein Lächeln auf den Lippen. Von besonderem Komfort war ohne Zweifel der Elektromotor des Rades, übrigens ein niederländisches Fabrikat namens Urban Arrow, ein unheimlich ausgereiftes Modell noch dazu, absolut ideal für Familien. Derartig komfortabel unterstützt sind schlechte Witterungsverhältnisse selten ein Argument, auf ein anderes Verkehrsmittel auszuweichen. Neben dem Fahrradhelm, der in der Großstadt dann doch irgendwann einfach Pflicht ist (schließlich ist man Vater unerwachsener Kinder), ändert sich auch die Mode. Die Jacken werden funktionaler, Dichtigkeit und Tragekomfort auf dem Rad führen zu einem neuen Gefühl. Neudeutsch: Lifestyle. Der Lifestyle des LOHAS ist damit sichtbar, also eine Art vordringliche Betonung von Nachhaltigkeit und Gesundheit (Lifestyle of health and sustainability). LOHAS gelten nicht als gewissensschuldige Körnerfresser, die Ihre Sünden an der Natur beklagen. LOHAS sind nicht verbittert, sondern lebensfreudig und wollen die Natur mit der Technologie auf neue Art versöhnen. Ein LOHAS pflanzt Blumenwiesen für Bienen, nutzt aber ein iPhone und konsumiert wie jeder andere Mensch intensiv, nur mit grünem Anstrich. Ein Verbrenner paßt eher weniger zum LOHAS, eher ein Elektroauto und eben ein Elektrorad. Ob der LOHAS so wirklich die Umwelt entlastet, oder aber nur glaubt, dies zu tun, ist eine politische Diskussion. Ich befürchte, der ökologische Fußabdruck ist nicht besser, er ist nur elektroniklastiger und will progressiver erscheinen, versündigt sich aber leider auch noch viel zu viel am Planeten, wählt aber sicher eher grün denn rot oder gelb. Demonstrative Schau politischer Einstellungen sind mir zuwider, doch ob man es will oder nicht, ein Lastrad zu fahren ist ein Statement, auch in Ehrenfeld. Nach und nach wurde mir auch klar, dass meine Kinder in jedem Falle das Rad gegenüber dem Pkw bevorzugten. Es war einfach das intensivere Fahrgefühl, man war mit den Eltern sogar enger verbunden und man saß auch vor Ihnen, nicht hinter Ihnen. Meine Kinder stöhnten sogar laut “och nöh, nicht Auto Papa”, wenn ich beim besonders schlechtem Wetter selbst keine Lust mehr auf Radeln hatte.
Der Blick auf die Straße änderte sich auch: Plötzlich war das wichtigere Anliegen nicht der Ausbau der Straßen für freie Fahrt für angeblich freie Bürger, sondern bessere Radwege. Fahrradstraßen, mehr Umsicht anderer Verkehrsteilnehmer, Gefahrenreduzierung, weniger Autos. Autos sind plötzlich laut, stinkig und als der Dieselskandal immer größere Züge annahm, gar verachtenswerte Dreckschleudern. Offensichtlich paßt aber da was nicht ganz zusammen, denn als Anwalt des Fahrrades gleichzeitig einen V8 in der Garage stehen zu haben, wirkt mehr als heuchlerisch. Und er stand mehr und mehr in der Garage, die Fahrleistung nahm dramatisch ab. Irgendwann hatte das Auto seine grundsätzliche Notwendigkeit eingebüßt. Es gab eigentlich nichts mehr, was ich nicht mit dem Fahrrad bewältigen konnte. Nur große Reisen oder Dienstfahrten weit jenseits der 50 km Distanz waren weiterhin Autofahrten, viele meiner Routen waren eh weitab von der Erreichbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel. Und gestunken hat mit der ÖNVP eh, besonders die Kölner KVB bietet in Ihren Bahnen kaum Komfort oder gar Luxus. Auch fordert das Sitzen in Gruppen eine mehr oder weniger zwanghafte Auseinandersetzung mit dem Gegenüber, selbst wenn es nur die offensichtliche Ignoranz oder Distanziertheit ist. Mitfahren fühlt sich immer mehr nach einem Kompromiss auf Zeit an, Freude am Fahren ist sowieso Fehlanzeige. Doch ähnlich wie der Weg vom Auto auf das Rad ändert sich auch die soziale Wahrnehmung: Radfahrer sind eine andere Gruppe als die Autofahrer, Autofahrer sind anders als Bahnfahrer. Das sind vielleicht zunächst Äußerlichkeiten, denn der feine Unterschied ist dann nicht nur welches Auto man denn fährt, sondern auch genauso welche Art von Fahrrad. Das Fahren eines Autos ist dermaßen sozial akzeptiert, dass eher das Gegenteil, die absichtliche Verneinung des Autos, irritiert und Ablehnung erzeugt. So frei der moderne Mensch glaubt zu sein, so individuell und besonders er sich auch glaubt, beim Auto sind gruppendynamische Prozesse immer sichtbar. Dazu gehört auch die Vorgabe eines bestimmten Milieus durch die Wahl des Autos. Volvo, BMW, Hyundai, Dacia – immer gibt es auch da einen Subtext, selbst für Frauen, die sich davon freimachen, ist der Herr im Mercedes ein anderer als die Oma im Polo. Wie aus der Werbung schließen wir sogar Eigenschaften des Menschen von seinem Auto auf ihn und natürlich ist die Wahl des Autos auch eine Aussage. Da gibt es die, die auffallen wollen. Die, die lieber tiefstapeln und die, die Ihr “eigentlich sind mir Autos nicht so wichtig” mit einer gefühlt besonders neutralen Marke (gerne Volvo oder VW) verbinden. Das Smartphone hat sicher dazu geführt, dass das Auto nicht mehr alleine den sozialen Status eines Heranwachsenden ausdrücken soll, sondern nach ihm eher die zweite Kategorie. Spätestens als beruflich Etablierter nimmt das Auto wieder einen Platz ein. Ob Dienstwagen oder Privatwagen, die Anschaffung gehört weiterhin zu den teuersten Dingen, die sich Menschen so kaufen. Mobilität ist derart selbstverständlich, dass ein Auto nicht nur uns bewegt, das würde ja eigentlich ausreichen, sondern eben viele andere Eigenschaften bekommt. Besonders schnell, besonders sparsam, besonders teuer, besonders selten, besonders schön, besonders irgendwas. Und ich hatte ja auch eine Geschichte, wie ich überhaupt zu meinem PS-Monster kam. Das hat natürlich auch viel mit der Herkunft zu tun.
Ich komme vom Land, wo ein Auto für Mobilität fast konkurrenzlos wichtig ist. Wer in Berlin oder München aufgewachsen ist, blind Bus- und Ubahn-Fahrpläne lesen konnte, der hatte Alternativen. Wir hatten die nicht. Bei uns fuhr so gut wie gar kein Bus und shcon gar nicht zu jeder Zeit, weder U-Bahn noch überhaupt Bahnanschluss war kennzeichnend für unsere kleine Stadt. Der eigene Vater hatte für wenige Dinge im Leben eine Schwäche, aber Achtzylinder mit Stern war eine davon. Er hat dass in seiner katholischen Unschuldigkeit eigentlich immer nur mit schlechtem Gewissen getan; mein Vater wußte bzw. war emmpathisch genug um zu wissen, dass ein derartiges Auto zwar seinem beruflichen Erfolg entsprach, aber auch in Anbetracht seines Preises für viele argwöhnische Blicke sorgte. Fahrbarer sozialer Sprengstoff aus Sicht meines Geschichtslehrers. Also war seine Farbwahl auch dezenter, mein Vater war kein Angeber. Aber nicht nur sich selbst drückte das Auto natürlich auch was aus, es nicht nur eine hoch entwickelte Fahrmaschine, es war auch Prestige. Ich erinnere mich noch, wie mein Vater mal mit dem Verkäufer die Extras in der Fahrzeugbestellung aussuchte. Es dauerte unheimlich lange, denn die Liste war elendig lang und man mußte auch noch Monate warten, bis das Auto geliefert wurde. Es war die Zeit, wo eigentlich niemand in der Anschaffung eines Autos ökologische Bedenken äußerte. Es wurde auch überhaupt nicht in Frage gestellt. Stattdessen lauteten die Begründungen “er muß ja beruflich viel fahren, da kann er sich ja was gönnen” oder “wer soviel arbeitet, der….” – die Anschaffung des teuren Pkws sollte also andere Unbill kompensieren. In der Tat mußte man eine Menge Unbill ertragen haben, um soviel Geld zusammen zu kriegen, dass man derartig kompensieren konnte. Die Preisliste war schon damals derart pfefferig, dass mein Vater vor meinen Augen sowas wie kalten Schweiß produzierte, als der Verkäufer seine Häkchen machte. Die Frage, ob man etwas brauchte, konnten wir Jungs mit 12 Jahren natürlich nur mit Ja beantworten: Wenn schon Spielzeug für Männer, dann bitte das Größte mit den meisten Knöpfen bitte! Was haben Jungs auch eine Ahnung davon, was man alles erstmal finanziell stemmen mußte, um überall seine Häkchen zu machen. Als der riesige Bolide dann kam, war die Mitfahrt ein großes Vergnügen. Alleine alle Knöpfe mal zu drücken und elektrischen Motoren zu bedienen, das dauerte mal locker 30 Minuten. Als ich den Führerschein dann machte, war das Vergnügen noch größer: Das Knöpfchenschiff konnte man sogar fahren, und wie schnell es auch noch war! Ich wohnte auf dem Land, man muß eher sagen, in der Provinz. Ohne Auto war und ist man heute noch aufgeschmissen, die Distanzen sind fürs Fahrrad schnell zu groß, wenn man die modernen Lebensgewohnheiten unterstellt. Aber auffällig war doch damals schon, dass wir in Summe auf dem Land enorm viel Fahrrad fuhren. Das Fahrrad war der erste große Gewinn an Freiheit, aus eigener Muskelkraft große Distanzen zu schaffen, dass war ein unvergessliches Gefühl. Es ist aber eine fast schon meditative Angelegenheit verglichen mit dem Auto. Das Auto, wenn es denn viele PS hatte, brachte einen in Erregung. Man mußte keine Kraft aufwenden, kommandierte dennoch 2 Tonnen Stahl und Blech mit ordentlicher Wucht durch die Kurven.
Die Zeiten ändern sich. Irgendwann in den 90ern brachte Mercedes die große S-Klasse heraus (Modell Helmut Kohl W140), es hagelte Spott über eine derartige ökologische Frechheit. Mein erster Studentenjob war dann ausgerechnet bei Smart. Der Launch der Marke wurde umweht von einem Geist progressiven Umdenkens: Warum sollte ein einzelner Mensch mit 3 weiteren Polstersesseln durch die Gegend fahren? Warum muß ein Auto derart groß sein? Kann man Mobilität nicht auch anders denken? Ich fand das wirklich progressiv, nur in der Realität sah man dann wenig davon. Das kleine Auto war eher Dritt- oder gar Viertfahrzeug, statt elektrischer Motoren nagelte ein Dreizylinder relativ viel Sprit nach draußen und neue Mobilitätskonzepte kamen erstmal gar nicht in Gang. Kein Stadt wagte es, Sonderparkplätze für die kleinen Autos bereit zu stellen, auch schien die Parkplatznot nicht derart groß, dass man auf eine lange Motorhaube mit unnötig vielen PS verzichten wollte. Auch wurde weiterhin die einmalige Urlaubsfahrt im Jahr als Begründung genutzt, einen Siebensitzer zu besitzen, der an 340 Tagen im Jahr nur mit einer Person chauffierte. Alles, was an ökologischen Motivationen für die Marke herhielt, verkehrte sich ins Gegenteil, niemand nahm das Thema Umwelt so ernst, dass es in großem Stile das Verhalten der Verbraucher änderte. Stattdessen kam der TDI auf und ich hatte auch einen, der verbrauchte weniger und war noch zügiger las die meisten Benziner. Man war derart überzeug davon, dass man trotz viel Bewegungsenergie weniger emittieren würde, dass man sich gar einen grünen Anstrich gab. Heute sind wir alle schlauer, denn ausgerechnet die sparsamen TDIs zeigten sich als besonders potente Emittenten von Feinstaub, die Quadratur des Kreises wollten wir gerne glauben, aber es gab sie nicht. Ich blieb dem Diesel wegen seiner geringeren Unterhaltskosten bei meiner relativ großen Fahrleistung lange treu, erst 2014 änderte sich beruflich bei mir derartig viel, dass ich statt 20.000 km pro Jahr weniger als 10.000 wirklich beruflich fahren mußte. Auch schaffte ich es den Weg zur Arbeit immer mehr zu verkürzen, wir zogen um, ein neues Büro, fortan war die Entscheidung für den Pkw beim Weg zur Arbeit nur noch absolute Bequemlichkeit, aber keine Notwendigkeit mehr. Und ausgerechnet das ermunterte meine vielleicht unökologischte Kaufentscheidung. Natürlich viel mir auf, dass der Wertverlust großer Benziner besonders groß war. Die Anschaffung eines Autos mit besonders viel PS war also überhaupt nicht so teuer, da ich auch kaum noch Kilometer abspulte, war der Verbrauch auch kein Thema und wie ich mir erfolgreich einredete, war die Bewegung des Autos somit auch ökologisch verantwortbarer geworden. Irgendwo reizte es mich wohl, auch mal ein großes Auto wie mein Vater zu fahren, ich verband die Entscheidung dann mit der Wahl eines Familienkombis, der aber besonders schön sein sollte. Das Ergebnis war eben der CLS und schon Tag 1 meines Lebens mit dem Geschoss hatte Konsequenzen, als ich wegen Geschwindigkeitsübertretung meinen Führerschein gleich für einen Monat abgeben durfte. Im weiteren gab es eigentlich wenig Gelegenheit, das Auto zu fahren. Die Staus wurden nicht weniger, Köln ist zudem besonders staulastig, wir fuhren einmal auf eine lange Urlaubsreise damit und das war es eigentlich auch schon. Ansonsten fiel das Auto auf, wenn es bewegt wurde, aber in der Anonymität der Großstadt bekam ich wenig davon mit. Ich hätte mich auf dem Land wohnen wohl nicht getraut, derartig auffällig zu sein, in der Großstadt war mir das wurscht und eigentlich war ich der Stadt ja auch genauso wurscht. Ich habe viele tausend Euro für diese dicke Karre bezahlt und was habe ich außer einer Stütze für ein zu kleines Ego dabei eigentlich bekommen, fragte ich mich. Nicht wegzudiskutieren war, dass das Auto aber auch dann Geld kostete, wenn es rumstand. Der Wertverlust pro Jahr betrug alleine deart viel, dass man davon 2-3 Elektrolastenräder kaufen konnte. Dazu Steuer und Versicherung sowie Miete für die Garage. Mercedes versuchte mir zudem neben teuren Wartungen Verträge aufzunötigen, die mir die Nutzung einer besonderen App oder sonstigen Krimskrams gegen Geld ermöglichen würde. Autowäschen, Pflege, Wartung, TÜV, ich durfte mir eigentlich gar nicht mehr ausrechen, wie unheimlich teuer mich das Auto kam. Es war tatsächlich absurd viel und dafür alleine arbeiten zu müssen, stellte mir die Sinnfrage. Arbeite ich für das Auto? Macht mich das Auto arm oder hilft es mir? Es war sicher ein besonders teures Exemplar von Auto, aber auch eine alte Rostlaube hatte beträchtliche Unterhaltskosten im Vergleich zum Fahrrad. Die Frage stand dann nach etwas mehr als einem Jahr einfach im Raum: Soll ich das Auto nicht einfach verkaufen?
Man will sich ja eigentlich als Mann ersparen darüber zu schreiben, aber ein Auto zu verkaufen und nicht zu ersetzen, dass muß der Mann erstmal mit sich selbst ausmachen. Und dann blieb ja noch die praktische Frage im Raum, ob das überhaupt geht. Der Vorteil der Großstadt ist nicht nur, dass die Distanzen ja eigentlich übersichtlich sind, sondern dass es auch alle Angebote von Carsharing gibt. DriveNow und Car2Go, Cambio, etc., man muß nur das passende Suchen. Ich reaktivierte meinen Car2Go Account und in der Tat hatte der Smart nun doch in diesem neuen Mobilitätskonzept seine Nische gefunden. Smarts waren stets verfügbar und aus Neugier löste ich auch das Ticket für BMW DriveNow. Dort wartete dann der i3 auf mich, zum ersten Mal richtig Elektroauto fahren war angesagt. Dass machte Freude und gewann ebenfalls im Kontext der Mischnutzung mit anderen Fahrern ökonomischen Sinn. Genauso wie schon beim Wechsel vom Pkw zum Auto wechselt man den Blick, wenn man Carsharing nutzt. Man fragt sich einfach, womit man das “Normale”, also ein Auto selbst zu besitzen, sinnvoll begründen kann. Beim Carsharing wartete ein immer gewartetes, getanktes, meist gereinigtes und auch noch relativ neues Auto auf einen und zwar nur dann, wenn man es brauchte. Man mußte keine Garage vorhalten noch Steuer und Versicherung leisten. Mein Auto stand nicht direkt an unserer Wohnung, deswegen war auch der Weg zum Mietwagen kein anderer als zum eigenen Auto. Sprich, Carsharing funktioniert und es gab keine Ausrede mehr, den nächsten Schritt zu gehen. Ich ließ mein Auto bewerten, putzte es ein letztes Mal heraus, drückte einmal noch aufs Gas und übergab es dem neuen Besitzer. Und es war für mich ein durchaus emotionaler Abschied, denn ich verband ja etwas irrational anderes mit dem Auto als nur ein Fahrzeug, es war ein Stück meines Selbstverständnisses, dass sich änderte. Nun bin ich also so ein besonderer, ein Lastenradler. Ein Fahrrad-Nazi! Das Carsharing war tatsächlich wichtig, denn im Gegensatz zum normalen Rad hat ein technischer Defekt beim Lastenrad in der Regel zur Folge, völlig immobil zu sein. Auch da finden sich zwar neue Angebote (mobiler Reparaturdienst), ich war dennoch überrascht, dass ich 3-4x im Jahr liegen blieb mit meinem Lastenesel und dass in der Familie einige spontane Umplanung erforderte. Autos sind aber natürlich auch mal in der Werkstatt, bei Elektrorädern muß man sich daran gewöhnen, dass man nicht alles selbst reparieren kann, leider.
Tatsächlich habe ich einen Moment länger noch gezögert beim Verkauf meines Pkw mit Blick auf meinen Sohn. Mein Vater hatte tatsächlich großen Bonus von mir als Sohn bekommen, weil er so ein tolles Spielzeug hatte. Das mögen viele lächerlich finden, war aber bei uns der Fall und ich vermute, das ist bei einigen Vätern auch der Fall und somit hatte ich den Moment vor Auge, wenn man Sohn mich fragen würde, warum ich denn so ein spinnerter Lastenradler sei und nicht so ein dickes Auto wie der Papa von Max habe. Jaja, das mag alles lächerlich sein, aber ich war ja jemand, der etwas aus dem puren Besitz seines Autos für sein zu kleines Selbstwertgeefühl zog. Nun aber habe ich eine Geschichte und ich muß es überhaupt nicht als ökologischer Missionar vor dem Hintergrund des Klimawandels argumentieren, Papa hat keine Heldentat vollbracht. Er hat sich einfach nur den Bedürfnissen und Erfordernissen seines Alltags angepaßt und da paßte ein Auto, dass im Stau steht und einen Haufen Geld kostet einfach nicht mehr in unsere Familie. Und wenn mein Sohn dann tatsächlich mal sagt, der Papa solle doch mal ein cooles Auto fahren, ja herrgott, dann leihe ich mir die Karre eben irgendwo aus. Aber sein Leben daraus auszurichten, was andere darüber denken, ist am Ende ein ärmliches Unterfangen. Erst recht, wenn es offensichtlich keinen Sinn mehr macht. Meine Frau war angetan davon, dass ich konsequent blieb. Sie konnte noch nie viel damit anfangen, Geld für Blech auszugeben. Soviel Vernunft war mir nicht mitgegeben, wie es scheint. Man kann sich ja bessern.
P.S. Seit ein paar Monaten Dieselskandal und dem Rekordsommer, an dem unsere Mobilität Ihren Anteil am Klimawandel hat, entstand natürlich besonders viel Lust darauf, sich über die Autoindustrie und den Pkw-Fahrer in mir selbst zu erregen. Ich gebe aber gerne zu, dass das bei mir und meinen Entscheidungen, den Pkw aufzugeben, dass nur am Rande eine Rolle gespielt hat. Ich habe eine effiziente Form der Mobilität gesucht und gefunden, günstiger und in vieler Hinsicht besser als die Alte. Das war mein Use Case, nicht die Rettung des Planeten. Das ist aberwitzig, ich bin nicht so gestrickt, tut mir leid und peinlich ist mir das auch. So schändlich es aber auch ist, dieses Land definiert sich nicht nur über das Auto, das Auto bezahlt sprichwörtlich in unserem Lande die Rechnungen. Denn ohne das (Export-) Geschäft mit dem Auto sähe es in diesem Land nicht so dolle aus, weder mit dem Handelsbilanzüberschuss noch mit dem allgemeinen Wohlstand und gut bezahlten Jobs in der Autoindustrie. Sich wirtschaftlich aber neu zu erfinden für die Zeit, wo Autos eine neue Rolle auf diesem Planeten spielen können, wird wahrlich nicht einfach und die Antwort Elektroauto ist sicher nur ein kleiner Teil der Antwort. Da wir eine relativ überalterte Gesellschaft sind, wird diese Form der Neuerfindung eventuell auch nicht gelingen. Kein Grund allerdings, die Autoindustrie weiter zu subventionieren, die am Raubbau am Planeten einer der vordersten Plätze einnimmt. Mobilität geht auch anders als Individualverkehr. Wenn die Autoindustrie sich in der Form neu erfindet, dass sie diese Antworten möglich macht, unterstütze ich das gerne. Nur weiter “Freude am Fahren” und PS über alles zu stellen, das soll bitte sehr auf der Rennbahn oder auf der Playstation passieren, nicht mehr auf diesen Straßen. Also, was war nochmal die Eingangsfrage: Aufstieg oder Abstieg? Nichts von beidem, einfach nur ein Umstieg. Denn vieles macht den Menschen aus, aber bitte nicht sein Auto, sondern seine Fähigkeit sich zu ändern.