Christos Venetis: 7x drawings from “Operation Mincemeat Asides” (2019)


1x Christos Venetis: o.T., Bleistift auf Papier, 29,7 x 40 cm, 2018, in der Sammlung seit 2019

sowie (in Vitrinentisch)


6 x Pencil Drawings in Notebooks by Christos Venetis: o.T. (2018 and 2019), each 21 x 29,5 cm, in der Sammlung seit 2019 (3x 2018 works Wirefence 241 (Present of the Artist), Hand on Hand 246, Blanket under sunny tree 253, 3 works Neglige 258 (2019), Letter 262 and Woman in Shadow 261 (all 3 Notebooks in 2019)

Christos Venetis jüngste Ausstellung “Operation Mincemeat Asides” war verbunden mit einem längeren Besuch hier in Köln. So war etwas mehr Zeit, ihn auch als die herzliche und freundliche Person kennenzulernen, der Christos einfach ist. Als Zeichner hat er die beneidenswerte Begabung magischer Hände, die zeichnen können wie ein kleiner Halbgott. Als Mensch gibt er gerne und viel von sich selbst, ein echter “Mensch”. Ich mochte ihn sehr bald und sich die Ausstellung von ihm selbst in Ihrer Entstehung erklären zu lassen, war offensichtlich ein großes Vergnügen für mich. “Operation Mincemeat Asides” war konzeptionell aufgeladener als seine letzte Ausstellungen (Anaemic Archives). Es geht in Operation Mincemeat um die Bedeutung der Geschichte (in Wort wie Bild), Ihre Wirkung und dem Versuch der individuellen Definition. Der philosophische Wahrheitsbegriff, der in Tagen von Fake News von Meinungsmachern wie eine Monstranz vor sich hergetragen wird, wird entlarvt als machtpolitischer Gewaltakt, sanft verkleidet in der Hülle der Political Correctness. Es ist die Wahrheit, vor der Nietzsche uns schon vor 120 Jahren warnte. Warhheit ist eine Illusion, es gibt keine Wahrheit, sie liegt im Auge des Betrachters und dennoch ist die Welt überschwemmt von einer Wahrheitsbegrifflichkeit, die in Ihrer Dogmatik der Bibel zu entstammen scheint. Genau das ist das Thema der Ausstellung, versteckt in vielen Chiffren und Rätseln, was ist Wahrheit, was ist Lüge und was macht das mit uns selbst.

Die Hauptzeichnung o.T. (2 Weingläser balancierend auf einem Paar Händen) ist auch das Schlüsselbild des Künstlers in der Ausstellung. Der Künstler selbst ist kein Botschafter der Wahrheit, er zeichnet und seine Wirkung darf nicht Konkretheit sein. In Vino Veritas, das ist der erste Ausspruch der mir beim beim Betrachten der meisterlich gezeichneten Gläser einfällt. Ist Wahrheit im Wein oder der Zeichnung? Und was, wenn der Zeichner seine Hände zur Zeichnung benutzt, warum zerbricht das Glas? Es bleibt vertrackt, die Wahrheit in das aufzulösen, womit wir unsere kognitiven Dissonanzen beherrschen können. Hebt man die Hand, zeigt man die Wahrheit, so zerbricht das andere Glas? Es ist Artistik oder ist es Paradox?

Ich mag es, wenn Künstler kleine Symbole und Zeichen in den Werken einfügen, die die Bedeutung Ihres Schaffens und Ihre Fähigkeiten illustrieren. Hier ist es ein Zeichen, dass Venetis natürlich bei vollem Bewußtsein über seine Wirkung arbeitet. Christos Venetis zeichnet seine Hauptwerkzeuge – Papier und Bleistift. Sie sind sein Instrument. Rembrandt malte sich gern selbst ins Bild, Holbein fügte Objekte wie den verzerrten Totenkopf (Die Gesandten, 1533) ein, Van Eyck den Spiegel (Das Arnolfini Porträt, 1433). Es gibt zahllose weitere Beispiele, wo Meisterkünstler demonstrieren, wie sehr sie Ihre Kunst handwerklich im Griff haben und das Dilemma des Schaffens erkennen, selbst wenn sie meisterlich das Werkzeug bedienen und führen können. Sind sie das Fenster zur Unendlichkeit oder der Verzerrung? Es ist ein persönliches Schlüsselbild des Künstlers, klar, dass ich das gerne haben wollte.

In der Ausstellung verfasste Christos einen hintersinnigen Text, der die Ausstellung erst recht spannend macht. Aber vorsicht, der Künstler führt den Leser bewußt auf Glatteis:

“Operation Mincemeat war der Name einer erfolgreich durchgeführten Desinformationskampagne des Britischen Geheimdiensts während des Zweiten Weltkriegs. Um der nationalsozialistischen Besatzung eine bevorstehenden Angriff auf Griechenland vorzutäuschen und von der tatsächlichen Landung der alliierten Streitkräfte in Sizilien abzulenken, wurde eine Leiche mit falschen Dokumenten präpariert und an der spanische Küste ausgesetzt. Der Tote selber wurde auch mit einer fiktive Identität versehen: “Major William Martin der Royal Marines”.

Um die Geschichte überzeugender zu machen, wurde für den Major eine Verlobte namens Pam erfunden, deren Liebesbriefe und Fotografien er bei sich trug. Darüber hinaus wurde der Major auch mit einem Schlüsselbund, Theater Karten für ein kürzlich angelaufenes Stück, Rechnungen für einen Aufenthalt in einem Londoner Club, eine Streichholzschachtel und anderen Gegenständen ausstaffiert. Pams Liebesbriefe wurden von Patricia Trehearne, einer MI5-Beamtin, verfasst. Der einzige Brief, den Martin schickte, wurde von Lieutenant Commander Montagu, dem Chef der Operation, geschrieben. Montagu hatte akribisch weitere Versionen des Briefes verfasst, die heute in den „British National Archives“ zu finden sind.

Diese Geschichte verschweigt jedoch die Existenz eines gewissen Major Tom, dem ursprünglich die Aufgabe übertragen worden war, den Brief an Pam zu schreiben. Tom schaffte es nie, den Brief zu schreiben, lehnte diese Aufgabe sogar ab. Zu groß war für ihn die Last der Geschichte, die die Liebe eines „Doppelt-Toten“ und einer „Nicht-Existierenden“ auf ihren Schultern zu tragen hätte. Er wusste tatsächlich wenig über die Liebe. Obwohl er ihre Existenz erahnte, wusste er weder über ihre Eigentümlichkeiten bescheid, noch über die Kraft, die ihr inne zu sein scheint. Er ging vorzeitig in den Ruhestand und starb am 5.3.1967 in einer billigen Pension in East London, wahrscheinlich nach Jahren des Morphiummissbrauchs in Form von Tabletten. Das einzig interessante, das unter seinem persönlichen Hab und Gut gefunden wurde, war ein Tagebuch mit einer Liste.

Die Liste selbst suggeriert den Versuch, Objekte mit ihren inneren, sentimentalen Eigenschaften in Verbindung zu bringen. Wir lesen auf der ersten Seite folgendes:
Die Selbstexistenz eines Kindheitsgemäldes, die Zärtlichkeit des Hofes an einem Nachmittag, der Verlust gelüfteter Laken, die Katharsis frisch gebügelter weißer Wäsche, die Abneigung gegen schmutziges Geschirr, die Jugend schwarzer Pferde, das Altern des verlassenen Ufers, das Knirschen von Zähnen…”

Die Ausstellung bestand also aus zwei Elementen: Der illustrierten Desinformationskampage und den Tagebüchern von Major Tom. Die Tagebücher fanden sich in Vitrinen wieder, aufgeklappt und Einblick gebend in die fiktive Biographie von Major Tom. Alles konstruiert, um den Feind in die Irre zu führen. Mittel und Werkzeuge in einem absurd großen Machtkampf, der der zweite Weltkrieg war. Christos Venetis fungiert quasi als Commander Montagu, ist aber auch Herrgott des ganzen Theaters im White Cube. Heute geht der Kampf leider weiter. Vielleicht mit weniger Toten, doch nicht weniger gerissen und radikal. Mit politischer Korrektheit geführt, mit Wahrheit und Fake-News. Ein großer Kulturkampf, dessen Dimensionen wir langsam begreifen, weil er die ganze Welt erfaßt hat. Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters, die Frage, die die Zeit beantworten wird ist jedoch: Gehen wir in der Geschichte zurück und riskieren alles? Oder erkennen wir die Puzzlestücke und fügen sie gemeinsam für eine Zukunft zusammen, in der wir unsere Ängste überwinden können?


Solo show accompanying text “Operation Mincemeat Asides”

Operation Mincemeat was the name of a successful operation set up by the British Secret Service to misinform the Nazis during the 2nd World War. The purpose was to place documents on a corpse to be washed up on a Spanish shore concerning supposed allied landings in Greece as a decoy for the real landings on Sicily. A suitable corpse having been found, it was provided with a fictitious identity, ‘Major William Martin of the Royal Marines’.

To make the story more convincing, a fiancée by the name of Pam was invented for the major, together with photographs and love letters for the ‘dead’. Also accompanying the major were a bunch of keys, a theatre ticket stub for a recently staged show, bills for a stay at a London club, matches and other assorted objects. Pam’s love letters were penned by Patricia Trehearne, an MI5 officer. The only letter to be sent by Martin was written by Lieutenant Commander Montagu, head of the operation. Ever meticulous, Montagu had written other versions of the letter, which today are to be found in the British National Archives in the file Operation Mincemeat.

Hushed up from this story however was the existence of one Major Tom, to whom was originally assigned the task of writing the letter to Pam. Tom never managed to write the letter or indeed refused to write it. He regarded the story of Martin and Pam as the love of a ‘twice-dead’ man and a ‘non-existent’ woman assigned to bear the burden of history on their shoulders. And in any case he knew little about love and neither, perhaps, its ways nor its violence. He did however sense its existence. He took early retirement and died on 5.3.1967 in a cheap boarding house in East London, most likely following years of morphine abuse in the form of tablets. The only thing of interest found among his personal belongings was a diary containing a list. The list itself suggests an attempt at naming the objects and their sentimental ownership. We read on the first page thus:

The self-existence of a childhood painting, the tenderness of the yard of an afternoon, the loss of aired sheets, the catharsis of freshly-ironed whites, the unwillingness of dirty crockery, the youth of black horses, the senescence of the abandoned shore, the gnashing of teeth…

Curriculum vitae

1967 born in Joaninna, Greece
1993-1999 Aristotle University School of Fine Arts, Department of Visual and Applied Arts, BA

Currently lives and works in Thessaloniki, Greece.

Solo Shows (selected)

2019 Operation Mincemeat Asides, Galerie Martin Kudlek, Cologne / D
2017 Liber Mundi/Imago Mundi, Galerie Martin Kudlek, Cologne / D
2015 Operation Mincemeat Asides, curated by TinT gallery, National Bank of Greece Cultural Foundation (MIET), Thessaloniki / G

Group Exhibitions (selected)

2017 Walking the Line VI, Galerie Martin Kudlek, Cologne / D
2015 Syn-In the framework of ³Antallaxima 1³, Mansion Georgiadi, Mytilene / G
Art Projects / Art London, participation with TinT gallery, London / UK
2014 Optima mihi in chartis, Galerie Roemerapotheke, Zuerich / CH
Art Athina, participation with TinT gallery, Athens / G
2013 and I would see flowers through your eyes, Alex Hamilton – Christos Venetis, Patrick Heide Contemporary Art, London / UK
2012 Utopia, curated by E. Parpa and M. Stathi, E. Lanitis, Cultural Center, Limassol / ZY
2011 Art Athina, participation with TinT gallery, Athens / G
The Symptom Projects, curated by A. Artinos, M. Kataga, K. Christopoulos, Amfissa / G
Reference/Representation, Jewish Museum of Thessaloniki / G
2010 Conversation piece, TinT gallery, Thessalonik / G
2009 Ana-Kata 221, curated by D. Konteletzidou, IRIS Cultural Center, Municipality of Stavroupoli, Thessaloniki / G
Hinterland, Action Field Kodra 09, curated by M. Kenanidou, Kodra Camp, Municipality of Kalamaria, Thessaloniki / G
2006 Zosimades’ Action, Municipal Gallery of Ioannina G
2001 Matter-Work, curated by D. Konteletzidou, Vafopouleio Cultural Center, Thessaloniki / G
2000 10R00MS2000, curated by D. Konteletzidou, Kappatos gallery, Hotel St. George Lecabetus, Athens / G
Millenium2000, Mylos, Thessaloniki / G
1999 Biennial of Young Artists from the Mediterranean, curated by T. Stefanidou, Nice / F
1998 Art Athina 6, ZM gallery, Athens / G
1997 Art Heineken, Macedonian Museum of Contemporary Art, Thessaloniki / G
1996 Merkouria 96, Hellexpo, Thessaloniki / G


Christos Venetis: o.T. (6 pencildrawings in Notebooks on Table), 2018


Christos Venetis: o.T. (CV/P 253, Blanket under sunny olive tree), 21 x 29,5 cm, Pencil on Notebook, 2018

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