Was ist aus dem Techno Gefühl geworden? Where are the 90ies?

Techno war eine besondere Musik. Der Techno wurde groß in einer besonderen Zeit. Und den Techno umgab auch ein besonderes Gefühl, das heute verloren ist. Unbelastet, schwerelos, unernst, nicht politisch, aber auch der Zukunft positiv zugewandt. Techno war Anfang der 1990er Avantgarde, eine harte Kreuzung von stampfenden Industriebeats gepaart mit sphärischen Klängen aus elektronischen Klangerzeugern. Maschinenmusik, ätzten Kritiker. Die Musik als ein Nachhall der Schwerindustrie, so versuchten sich Soziologen an poetischeren Bezeichnungen. Die Musik und die Zeit, was ist aus ihr nur geworden?

Technobeats haben einen simplen wie geilen Effekt: Der Körper gerät direkt in Schwingungen. Du willst dich dazu bewegen, es ist ein Tanz. Und Du tanzst lange, manche durch die Nacht bis zum Morgengrauen wie ein Derwisch. Techno war sehr körperlich, aber viel sinnlicher als manche Musik mit Texten. Techno war leer von Inhalten, Techno wurde fast wie ein Sport betrieben, es wurde getanzt. Techno war laut, lauter als Motörhead. Viele wurden damals in jungen Jahren halbtaub. Techno war in gewisser Weise eine Projektionsfläche, die sich Inhalten verweigerte. Noch besser war, dass Techno unpolitisch war. Jedenfalls immer in dem Sinne, das Techno nicht Macht wollte. Techno suchte keine Jünger, die Leute kamen von selbst. Techno wollte niemanden missionieren, die Welt erklären oder der Soundtrack einer Revolution sein. Was Techno wollte, war der Moment. Und davon so viel wie möglich. Lauter oder auch Drogen verstärkt. Was die Drogen anging, war Techno so experimentell wie schon die Hippies der 1968er. Die Drogenseite forderte Opfer. Dabei wollte Techno doch vor allem “Liebe”. Techno fand anfangs in Kellern statt, in Industriehallen oder einem dunklen Versteck unter einer Brücke. Die Love Parade als größter Event war ein Festival, dass in Bewegung war. Durch die ganze Stadt, die das Motto ergab: Berlin. Die Loveparade hatte das gleiche Motto: Nur “Love”. Viel einfacher und oberflächlicher konnte es eigentlich nicht sein, aber andererseits war doch das der größte und ehrlichste Wunsch, den die Menschen haben können: Unbedingte Liebe unter Menschen bei Musik und in friedlicher Eintracht. Eine unglaubliche Leistung, dass das gelang! Aber die Loveparade veränderte sich schnell. Die Kosten explodierten und der Wunsch einiger, am dem Auflauf eine Mark zu machen. Die Love Parade ging an Ihrer Kommerzialisierung letztlich kaputt Anfang der 2000er Jahre.

Techno war ein Lebensgefühl, das spätestens ab 1995 überall zu hören war. Alles, was Berlin spannend machte nach dem Mauerfall war irgendwie auch was mit Techno. Keiner wollte die Ärzte oder Grönemeyer, dass war der alte Westen und hatte immer eine Note, die nicht taugte. Anfang der 90er wurde der Techno in Deutschland immer größer. Während in Westdeutschland oft Raves auf BFBS neue Tanzevents seit Mitte der 80 anfeuerten, war Berlin speziell. Es nahm Einflüsse aus Detroit und aus England auf, wurde aber sehr schnell unabhängig davon. Zudem gab es eine eigene deutsche Tradition deutscher Musik wie Kraftwerk, die neue Räume eröffnete. Warum Berlin so wichtig war lag auch daran, dass es der einzige Raum in Deutschland war, der Experimente überhaupt zuließ. Berlin war Deutschlands größter Abenteuerspielplatz geworden. Alte Tresorräume, Bunkeranlagen, Räume des SED-Apparates, überall wurden Flächen frei und konnten mit Experimenten gefüllt werden.

Diese Zeit heißt die 90er

Das war alles durch den Mauerfall möglich geworden und der Kluft, die dadurch entstand. Einige Jahre war in der größten deutschen Stadt ein Vakuum zu befüllen. Alte Gebäude in Berlin Mitte mit unklaren Eigentumsverhältnissen, Bruchbuden oder Keller, überall entstanden erste Techno Clubs. Es wurde keine oder kaum Mieten gezahlt, der Nachbarschaftsschutz, der heute Clubs ruiniert, war kaum existent. Besonders bekannt waren der Bunker an der Friedrichsstrasse oder das “Tresor” an der Leipziger Strasse nähe des Potsdamer Platz. Als ich 1996 nach Berlin zog, war ich im Delicious Doughnuts, dem 90 Grad oder dem Sage Club unterwegs. Keines dieser Läden existiert noch in ähnlicher Form. Das WMF war ein besonderer Laden, damals noch an der Kalkstrasse. Ich fand schon die Einrichtung mit alten DDR-Mobiliar einfach geil, es wirkte wie ein Unterschlupf für KGB Agenten. Die Clubs, die ich präferierte, waren musikalisch eher international aufgestellt und nicht so Hardcore Techno lastig wie die anderen Clubs wie das Tresor oder der Bunker. Ich liebte Terranova, das war meine Band, vor allem die DJ Kicks Platte. Es gab auch sehr populäre Platten wie Kruder & Dorfmeister, deren Sound überall klebte. Leftfield, Underworld, Chemical Brothers und BigBeat aus England kam hinzu. Egal was Du hörtest, alle Platten hatten dieses Gefühl: Hier entsteht was Neues, es ist nicht so sehr belastet durch die Tradition und viele sind offen für neue Erfahrungen. So wie ich selbst kamen viele junge Menschen aus Westdeutschland nach Berlin. Im Westen war überall nur Last, nur Tradition, alle Räume waren belegt und Platz für Experimente gab es kaum. Es war die Möglichkeit, sich neu zu erfinden oder erstmals irgendwer zu werden. Auf Platte, oder als CD. Kein Mensch teilte damals seine Musik im Internet, wer etwas teilte, hatte Kassetten mit seinem Mixtape drauf so wie die Hiphopper das immer machten.


Der neue Sound von Kruder & Dorfmeister: Weltweit bartauglich, aber in Berlin war der Sound der Wiener perfekt installiert

Die Musik war existentiell und ein harter Beat, nicht selten düster. Und weil die Frage schnell dazu kommt: Mit Drogen hatte ich eher wenig zu schaffen, ich war ein ordinärer Bierkonsument. Das war übrigens damals fast alles von Becks, die sich als einzige Brauerei sofort um Berlin-Mitte platzierte. Dass man in der harten Szene konsumierte, ist ja bekannt, aber mein Vorteil war, nie eine Psychose oder einen Aufenthalt in der Psychiatrie gehabt zu werden. Wer aber im WMF oder Sage Club bei einem guten DJ bis in den frühen Morgen getanzt hatte, der war ja nicht weniger berauscht. Das ganze Endorphin, meine damalige Liebe und Ihr Körper, das sind prägende Erinnerungen zu all den Beats und Lichtern gewesen. Es war alles oft sehr einfach und simpel, da gab es weder Lasershow noch große Bühnenperformance – das ultimative Erlebnis war ein knallharter Lautsprecher, völlig überdreht, in einem dunklen Bunkerraum mit nur einer Lampe, die zum Beat irgendwie tanzte. Der Look der Tänzer war einfach, ein weißes Rippunterhemd, eine enge graue Jeans, irgendwelche Turnschuhe. Die Haare der Männer kahlgeschoren, so ähnlich wie Ewan McGregor in Trainspotting.

Berlin 1999 im Video von Terranova – Close the Door

Manche Erinnerungen waren banaler in Wirklichkeit. Wenn ich das ultimative Meme sehe, dass vom “Techno Viking” (s.u.), dann bin ich selber überrascht, wie furchtbar öde wir alle gekleidet waren. Das war wirklich das Jahr 2000? Der einzige, der Mut zur Ästhetik hat, war der Wikinger selbst – reine Körperlichkeit in Arbeitssachen, tanzen wie ein Derwisch. Das passte am besten zu Techno, nicht die blöden Adidas-Trainingsjacken von RunDMC, nicht bunte T-Shirts oder gar Gasmasken. Überhaupt war die Latzhose oder der Arbeitsoverall ein Extrem, so eine bunte Verzierung, die nicht nötig war. Aber dass ab und zu im Inferno nach Mitternacht einer eine Gasmaske trug, war ein schöner Schreckmoment.


The Techno Viking auf der 2000er Fuckparade, kurz, bevor Techno und Berlin endet

Auf dem Video läuft die “Fuckparade” durch die Rosenthaler Strasse. Sie kam von den längst gentrifizierten Hackeschen Höfen Richtung Torstrasse und zeigt noch die vielen Leerstellen nach dem Krieg, die die DDR und der Sozialismus nie hat füllen können. Die Musik ist wirklich hardcore, vor allem weil es hier auch noch tagsüber bei voller Lautstärke läuft. Dennoch kamen die Freudentränen bei mir hoch – fuck, ich war ja mal ein Teil davon!

2001: The 90s are dead!

Es dauert nur ein paar Minuten, dann weicht diesem Gefühl der Freude viel Traurigkeit. Was ist denn bloß daraus geworden? Techno hat heute wieder einen Nischenplatz gefunden, aber diese ganze Kultur ist längst tot. Ich würde vermuten, dass er eigentlich genau die 1990er Jahre existiert hat und ungefähr rund um den 11. September seinen Tod fand. Der 9/11 war ein Schockereignis für die ganze Welt, die verrückterweise annahm wie wir auch selbst, dass nach dem Fall der Mauer kein Mensch mehr durch Gewalt sterben würde. Der Grund, warum der Techno aus Berlin wich, ist dann etwas komplexer. Da war zunächst die Gentrifizierung von Berlin Mitte – überall dort, wo diese Clubs wie Abenteuerspielplätze waren, stehen heute sanierte oder gar neue Immobilien. Vor dem Delicious Dougnuts baute SAP eine riesige Glaszentrale, ich konnte mir nichts langweiligeres als diese Buchhaltungssoftware mit Ihren Programmierern vorstellen. Das 90Grad wurde verkloppt an ein paar reiche Hamburger, die als erstes dort Champagnerkühler installierten und für reiche junge Leute einen Club für Gucci-Klamotten machen wollte. Das WMF existierte zwar irgendwie weiter, aber war längst verändert. Clubbetreiber wie Cookies machen jetzt Gourmetfressen. Sprich, nicht nur die Clubs, sogar die Leute, die das gemacht haben, sind heute saturiert und gentrifiziert. Mit gewissem Schrecken habe ich gesehen, dass eine Teilnehmerin bei der Fuckparade ausgerechnet Lisa Paus war, heute Familienministerin der Grünen. Auch sie importiert aus Niedersachsen, ein Besserwessi. Es waren schon immer spezielle Leute, die damals nach Ende der Technozeit noch in der Szene waren und dann in die Politik gingen.

Aber es gibt auch viele andere Stories. Es gibt diejenigen, die wirklich an der Tanzfläche waren und in Psychosen kamen, aus denen sie nie wieder herausfanden. Manche nahmen ordinäre Jobs an und wurden Familienväter, irgendwie wurde alles so wie bei ihren Eltern. Dann gab es so Vögel wie mich, die in einer Depression wegrannten aus der Stadt und im Westen halt suchten. In Köln war schnell klar, dass hier nur gefressen und gesoffen wurde, aber die Clubs alle gruselig waren. So hörte meine Clubzeit mit dem Weggang auch einfach auf. Ich habe noch Freunde in Berlin und ich besuche sie dann ab und zu. Ich sehe dann, dass Berlin zwar international wurde, aber auch teils nur noch Trends importierte. Sowas wie Techno, was von Berlin aus ausstrahlte gibt es nicht. Es gibt natürlich Rammstein, die man sicherlich auch mal irgendwo auf einer Party getroffen hätte. Sie entschlossen sich aber für Industrial und das ist ja nun mal einfach eine Entscheidung die man nach seinen Talenten macht. Ich erinnere sogar noch, dass Deichkind öfter in einem Laden war und man sich inspirierte und einen Weg suchte, naja, haben sie ja auch. Und ich will nicht vergessen, dass es einige gab so wie den Viking im Video, die einfach nur entsetzt waren: Dass wir alles eigentlich so machten, wie es immer war, dass natürlich die Marktwirtschaft Fassaden sanierte und Sozialhilfe gab. Aber Fuckparade und Freetekno waren Inseln, die den Kommerz hassten, die kein Business aus ihrer Musik machen wollten und dann ins Brandenburger Umland gingen und in der Natur etwas anderes versuchten. Keine Ahnung, was aus denen geworden ist – aber das waren irgendwie Hippies. Und wir, wir waren es irgendwie ein bisschen auch – denn Berlin in den 90ern, das war eigentlich für uns das Größte, das war unser Woodstock.


Das Ende der 1990er am 11.September 2001 in New York

Wir hatten damals alle eine positive Idee von Zukunft. Es gab keine Angst vor dem Weltuntergang, es gab weder Klimawandelangst, Finanzkrise, Covid oder Ukrainekrieg. Es gab sogar die Idee von weltweitem Frieden, Prosperität und einer spannenden Zukunft. Es gab keine Polarisierung, keinen Streit, auch kein Social Media. Es gab viel weniger Angst, dabei war alles so ungewiss wie heute. Das Internet war noch brandneu und spannend, aber ein Expertending, nur positiv besetzt. Das alles ist verloren gegangen, aber ich glaube, es wird irgendwo auf der Welt und irgendwann wieder entstehen – vielleicht bin ich da zu Besuch und kriege einen Hauch davon mit.

Nach der Zeit in Berlin war für viele eine deprimierende Zeit: Es war wie Kater nach viel Party. Der neue Markt explodierte, die Twin Towers in New York implodierten. Die Seelen waren deprimiert – manche waren wirklich depressiv. Chase the Blues!

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