Schimpft Populisten keine Faschisten…

…denn Sie beschimpfen Euch dann nur als “Systemlinge”. Die Verrohung des politischen Diskurses liegt nicht nur in moralischem Duktus verankert, sondern auch in ungenauen und zielgerichteten Beschimpfungen im Kulturkampf. Josef Joffe hat in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) die Summe seines historischen und politischen Wissens in einen Aufsatz gepackt, der Klarheit in den Diskurs bringt. Hier ein paar seiner Erkenntnisse und Schlussfolgerungen.

Josef Joffes Appell “Rechtslinke Populisten werden mächtiger in Europa” vor allem an die progressive Linke ist: Habt keine Angst. Er könnte auch sagen: Übertreibt es nicht mit dem Etikett Faschismus, denn es ist in dieser Angelegenheit eben kein Faschismus zu erkennen. Dabei ist genau dies die Unsicherheit, die die linke Elite immer über die AfD & Co zu schüren versucht: Do not touch, they are all Nazis!

So einfach ist es aber nicht. Was wir hier vor uns haben, ist der Definition nach kein Faschismus. Es ist zwar auch nicht ungefährlich für die Zukunft des Landes, aber es entspricht nicht der Bewegung, die üblicherweise die liberale Demokratie ausradiert. Wenn alle rufen “Das sind Nazis!” muss genauer hingeschaut werden. Die Erkenntnis ist eindeutig: Es handelt sich weltweit eben nicht um einen Aufstieg des Faschismus, sondern ein populistischer Nationalismus bricht sich Bahn. Mal hat er linke, mal rechte Ausprägungen, aber er zielt auf die Gruppe, die von den Eliten schlicht vergessen wurde: Das untere Drittel der Gesellschaft, dass weiterhin wahlentscheidend sein kann.

Der Unterschied ist erheblich, denn Populisten mögen weniger ausgewogen und differenziert agieren, sie können die Debatten in demokratischen Systemen unproduktiv machen, aber sie sind deswegen eben noch keine tödlichen Nazis, die Ihre Gegner morden und dann die Gewalt in die Welt tragen. Sie wollen eine Veränderung, eben ganz besonders für ihre Klientel, die sich nicht mehr repräsentiert fühlt. Plötzlich reicht sich hier der Arbeiter aus einfachen Verhältnissen mit geringer Lebensqualität mit konservativ-liberalen Kräften, die die “Schnauze voll” (Lindner) von überbordender Migration und linker Identitätspolitik haben.

Nur werden die Grünen oder Linken den Appell von Joffe akzeptieren oder verstehen? Wir befinden uns im Kulturkampf, wo mit Emotionen viele Debatten in Streit und Oberfläche verbleiben. Joffe meint im Subtext, man sei eben heute nicht wie im Faschismus der Gefahr um Leib und Leben ausgeliefert, es gibt keine marodierenden Sturmtruppen oder eine Geheimpolizei, die Euch in Lager bringt. Faschismus mordet, Faschismus ist Gewalt überall. Gegen politische Gegner, gegen Juden, gegen fremde Länder. Eine aus Ressentiments, Revanche-Gelüsten und Hass beförderter Faschismus braucht unsichere und prekäre Lebensverhältnisse, um sich zu nähren. Davon ist im Sozialstaatseuropa überhaupt keine Spur. Auch lassen die Populisten nur in ihren extremistisch geprägten Rändern eine Tendenz erkennen, die Verfassung zu verneinen. Der Faschismus hat aus seiner Systemablehnung nie einen Hehl gemacht, er hat die Verfassung und die liberale Demokratie einreißen wollen. Das ist bislang also lediglich eine Unterstellung zukünftiger Handlungsabsichten, aber keine Realität. Es ist als wenn die Linke so verängstigt ist, dass sie jederzeit daran glaubt, dass aus den deutschen Demokraten ein Dämon wird, der wieder frei entfesselt Krieg und Not über die Welt bringen wird. Eine Art “The Second Coming” wie von Yates.

All dass sind irrationale Ängste, die nicht faktisch gestützt sind außer durch Geraune und Ängste. Aber die Fakten sprechen eine andere Sprache: Es gibt zwar Ressentiments, es gibt Wut und Irrationalitäten, aber diese richten sich nicht gegen die Linke im Allgemeinen, sondern gegen die herrschenden Funktionseliten. Es ist ein Kampf des unteren Drittels der Gesellschaft gegen die 10% oben an der Spitze, die sich um Selbstverwirklichung statt Alltagssorgen kümmern dürfen. Wenn “Grüne” oder “die Regierung” angegriffen werden, dann weil sie die Elite sind, die das Land mit moralischem Duktus und erzieherischem Wollen beherrschen, aber darin versagen, allen die gleichen Lebensperspektiven zu eröffnen. Im Gegenteil: Sie sind in Ihrer Befreiung von Ängsten und Hoffnung auf Transzendenz auf einem anderen Planeten. Da wo die reichen Grünen das CO2 aus der Welt ausmerzen wollen, konfrontieren sie ungefragt die ärmeren Schichten der Bevölkerung mit einem Hausumbau von 50-80.000 € für die berüchtigte Wärmepumpe. Sie können sich gar nicht vorstellen, dass dies die Lebensplanung durcheinander bringt, wohnen sie doch gerne so alimentiert, dass die paar Euros keinen Unterschied für sie machen. Und wenn, sie wissen wie man vom Staat noch Zuschüssen bekommt, die wiederum von den ärmeren Schichten, denen nebenbei die Inflation und der aufgeblähte Sozialstaat zu schaffen macht, bezahlt werden müssen. Die Eliten, meist nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland akademisch gebildet (Beispiel Katharina Barley, SPD oder Annalena Bärbock, Grüne), ist nicht mehr auf das Konstrukt des Nationalstaates angewiesen. Aus deren Sicht ist der Nationalstaat 19. Jahrhunderts, sie aber zeichnen ein naives, kosmopolitisches Weltbild ohne echte Grenzen auf, die im 21. Jahrhundert all denen offen steht, die wie sie selbst sind: Mehrsprachig, offen, gebildet, neugierig und wertschätzend, mit allen Lehren der nazionalsozialistischen Vergangenheitsbewältigung ausgestattet. Beruflicher Erfolg ist auch in der Privatwirtschaft kosmopolitisch, geradezu woke, die Institutionen der Welt sind vernetzt und eröffnen globale Karrieren von Berlin bis Washington. Wer sich in Metropolen um biologische Ernährung kümmert und den Nachteilen der Digitalisierung mit Yoga begegnet, der ist in einer anderen Lebenswirklichkeit als der Rest der Republik.

Wenn wir vom Rest sprechen, dann hilft eine Art Schichtmodell zur Erklärung. Demnach sind etwa ⅓ der Bevölkerung offen für kosmopolitische Veränderungen, sie halten das Konzept des Nationalstaates für veraltet und wollen in einer Art globalen Brei die Vielfalt für eine bunte Konsumwelt nutzen, in der ihnen alles friedlich und monetär zugänglich offen steht. Die Nachteile von Kulturgrenzen erkennen sie kaum, sie sind interkulturell geschult, sprechen englisch und pflegen selten nationale Eigenheiten im Ausland. Das andere Drittel der Gesellschaft ist das ganze recht egal, solange Sicherheit und wirtschaftliche Prosperität gesichert erscheint. Sie lesen auch eher wenig Zeitung und wollen sich nicht in Unruhe versetzen, sondern Ihr Leben leben. Das letzte Drittel aber erscheint in diesem Kontext als die neue Kraft, die gewisse Problematiken beleuchtet: Sie beharrt auf Kulturgrenzen, weil nur diese Ihnen gewisse Sicherheit geben. Kulturen sind “Überlebenskampfverbände” (Bazon Brock), d.h. sie brauchen geradezu die Abgrenzung, das ist ja ihr eigentlicher Sinn. Nur wer sich zu einer Kultur bekennt und sich ihr öffnet, ist so geprägt, dass er immer zu ihm zurückkehrt und sich dort wohl und heimisch fühlt. Wer also nicht kosmopolitisch aufgewachsen ist, versteht nicht, wie diese Menschen denken. Zu einem gewissen Teil vermutet man hier auch einen höheren Anteil geringer Qualifizierter, die in Berufen tätig sind, deren Wirkungskreis eher regional ist. Angeblich ist auch der männliche Anteil höher, weswegen dieses Drittel stärker aggressiv auftritt als die Kosmopoliten, so Ihre Rechte bedroht erscheinen. Ich führe dass in Anführungszeichen, weil diese Stereotype oft nicht stimmig sind – ein Mensch kann hochintelligent sein, aber wenn er in einem Kulturkreis stramm geprägt wurde, wird ihm immer das globalisierte Denken schwer fallen, sobald er an Kulturgrenzen gerät. Dabei ist es egal, ob jemand katholisch-konservativ ist oder islamisch-konservativ.

In gewisser Weise sind die Vertreter einer Minderheit wie die Elite des Judentums die Vorläufer dieser globalen Eliten – sie zeichnen sich durch ein besonderes Maß an Bildung, auch an Intelligenz und Kulturkenntnis aus. Sie können die Sprache der Musik und der Romane genauso richtig interpretieren wie die der Wirtschaft oder der Philosophie. Theodor W. Adorno und Hannah Arendt können ein Beispiel sein für diese neue Elite, die durch den Faschismus in eine Opferrolle gedrängt wurden, aber glücklicherweise überlebten.


Theodor W. Adorno, Philosoph, war auch ein begnadeter Musiker und Komponist

Diese Vielgebildeten hatten immer Sorge ob der Rückkehr eines totalitären Gewaltsystems der Massen. Joffe weist aber auf die Unterschiede hin, die wir heute erkennen. Speziell in Deutschland ist der Aufstieg der Populisten von 5 Beobachtungen geprägt, die einen deutlichen Unterschied zu Weimar aufzeigen:

Erstens: Die Arbeitslosigkeit ist einstellig; in Deutschland lag sie 1932 bei 30 Prozent, in den USA bei 24.

Zweitens: Der Westen lebt nicht im Massenelend, sondern in einem grossherzigen Wohlfahrtsstaat, der gibt und kalmiert.

Drittens: In den Industrieländern lag die Sozialquote damals im 5-Prozent-Bereich, heute geht sie in der EU bis auf 30 Prozent hoch. Dieses Füllhorn besänftigt die Verlierer des Wandels.

Viertens: Der nächste Krieg war eingebaut. Die gedemütigten Deutschen wollten Revanche, die neuen Staaten – die Erben der gefallenen Imperien – rüttelten an ihren Grenzen und gingen auf ihre Minderheiten los.

Fünftens: Deutschland hatte in Versailles 13 Prozent seines Territoriums und alle Kolonien verloren; die erste deutsche Demokratie war ein Paria unter den Nationen. Das umzingelte und verfemte Land musste Abermilliarden an Reparationen zahlen; die Verarmung war programmiert. Nun ist Deutschland die drittgrösste Wirtschaft der Welt.

Stattdessen erleben wir also nun den Aufruhr eines Teil der Gesellschaft, aber wogegen genau. Es richtet sich aus meiner Sicht auf ein paar explizite Pfeiler der aktuellen Weltordnung:

– Die Migration in westliche Staaten, die aus demographischen Aspekten teils begrüßt wird, geschieht ungesteuert und bringt Kulturfremde ins Land
– Die Migration untergräbt die eigentliche Asylidee und lässt unbegrenzte Einwanderung in die Sozialsysteme ohne Gegenleistung zu
– Die Migration erklärt den eigenen Bürger nicht mehr, welchen Vorteil es hat Teil einer Gemeinschaft zu sein, da Fremde bevorzugt erscheinen
– Kriege werden wieder als Geschäftsmodell betrieben (USA im Irak) oder als imperiale Landnahme (Russland)
– Die Kriegsgefahr durch autoritäre Staaten wie China steigt und in Kriegen wird zu aller erst die Unterschicht an die Kanonen verfüttert
– Die liberale Weltordnung führt zur Ausnutzung komparativer Lohnunterschiede. Konzerne nutzen diese Verschiebungen und wandern wie Heuschrecken von Land zu Land
– Wohlstand erhält keine Permanenz, so die Unterschicht sich in einem tariflich gesicherten Unternehmen eingerichtet hat. Wenn die Konjunktur flaut oder China billiger ist, wandern Jobs einfach ab (letzteres hat Deutschland mit dem Sozialstaat recht gut im Griff)
– Der aufgeblähte Sozialstaat ist nicht verteilungsrecht, er drangsaliert schwierige Fälle nativ Deutscher, ist aber großzügig mit Bürgergeld bei Flüchtlingen ohne Auflagen
– Die Demographie kippt, so dass die Rente mehr und mehr unsicher ist. Leistungsempfänger wie Rentenzahler sorgen sich zunehmend um den Kollaps, weil die Politik sich nicht ehrlich macht
– Nach Jahren des Globalisierungsfortschrittes kehren alte Systemkonflikte wieder zurück. Der Freihandel ist bedroht
– Die Klimapolitik in Deutschland ist ideologisch, dumm und einseitig. Sie ist nicht effizient und lastet die Kosten gerade der Unterschicht ohne Eigentum auf

Allen gemein ist, dass die Funktionseliten von Globalisierung schamlos profitiert haben und diese neue Welt als kosmopolitischen Traum ausgemalt haben, in denen der Nationalstaat überwunden ist. Aber alle, die am Nationalstaaten kleben, weil sie Kinder beschulen lassen müssen, weil sie Leistungsempfänger sind oder weil Ihr Job schlicht bedroht erscheint und sich Prosperität nicht so einstellt wie erhofft, fühlen sich “am Arsch”. Das macht wütend, erst recht, wenn der pädagogische Zeigefinger der Katrin Göring-Eckardt kommt und Ihnen sagt, wie sehr sie sich auf diese bunte Vielfalt freut.

Zitieren wir an dieser Stelle Joffe mit seinen Bemerkungen zu Kulturkampf und marxistisch gedachten Klasseninteressen, die heute besonders interessant sind im Bezug auf die Bewegung des sog. Wokismus der linken Progressiven:

“Populismus ist nicht Faschismus, sondern Antielitismus. Etwa: «Ihr ignoriert und verachtet uns.» Hillary Clinton verlor 2016 gegen Trump, weil sie sich über die «deplorables» mokiert hatte, die «Abgehängten». Nächster Anklagepunkt: «Wir sind das Volk, aber ihr sorgt für favorisierte Gruppen: LGBTQ+, Nichtweisse, Muslime. Ihr habt das Tor den Migrantenmassen geöffnet, die Anpassung verweigern. Ihr sagt uns, wie wir denken und reden dürfen. Ihr respektiert jede andere Religion, nicht aber unsere christliche.»

Dieser Kulturkampf wogt im ganzen Westen. Er wird flankiert von soliden Klasseninteressen, die laut Marx selig im Ökonomischen wurzeln. Also: «Ihr feiert Globalisierung und offene Grenzen; wir verlieren Status und Jobs. Statt uns vor dem Globalkapitalismus zu schützen, bedient ihr euer Bedürfnis nach billiger Arbeitskraft.» Es herrscht Abstiegsangst. Deshalb wettern rechte wie linke Populisten gegen offene Grenzen und freien Markt.”

Damit ist alles wesentliche gesagt, was die westliche Welt in den nächsten Jahren begleitet. Sie muss lernen, wie man die Folgen der Globalisierung so austariert, dass die Gesellschaft zusammenbleibt. Dafür müssen Eliten erkennen, dass sie nicht selbstlos profitieren können und die Unterschicht muss an eine kulturell diversere Gesellschaft herangeführt werden. Die Begrenzung des Freihandels durch Zölle wird von Populisten wie Trump zwar versprochen, dürfte aber den globalen Handel bremsen und entsprechend Wohlstand verringen. Es muss neue Mechanismen wie die soziale Marktwirtschaft auch in anderen Ländern geben oder zumindest Alternativen, die progressive Besteuerung fordern und soziale Disbalancen austarieren. Aber genau das macht der deutsche Staat, der das Erfolgsrezept über 75 Jahre hatte, auch nicht mehr. Stattdessen ist seine Politik die des “schachen Staates”, der sich überall einmischt, aber nicht mehr seine Kernaufgaben von Bildung bis Infrastruktur ernst nimmt. Er ist nicht wehrhaft, er versteht nicht mehr die Idee des Kapitalismus, weil er denkt alles durch den Sozialstaat irgendwie ausgleichen zu können. Die Idee der Familie, ein ewiges Konstrukt, dass heute im Verruf steht “konservativ” zu sein, muss wieder en vogue kommen. Wenn nicht, ist die Frage, wie die Gesellschaft sich ausreichend reproduzieren will. Das Konzept der Immigration unqualifizierter Migranten aus kulturfremden Regionen dürfte als gescheitert bezeichnet werden – es ist der Garant für den Aufstieg des Populismus und ganz besonders die progressiven linken Eliten waren in Ihr Weltbild so verliebt, dass die Messerattentate von Mannheim und Solingen sie besonders schmerzen dürften. Konservativ-Liberale Gruppe im Land werden es ganz anders sagen: “Haben wir Euch ja immer gesagt.”

Genau so ist auch Stefan Aust Kommentar zur aktuellen Lage nach den Wahlen in Thüringen und Sachsen zu verstehen: “Wir schaffen das? Ihr seid ja wohl naiv!”

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